Kindheit zwischen Nachkriegs-Trümmern (1953-1959)

Wohnen und Leben

8 Jahre nach Kriegsende war Deutschland noch immer ziemlich am Boden, die Städte zerstört. Das Wirtschaftswunder kam später, jetzt war erstmal schwere Aufbau-Arbeit angesagt. Und vieles mussten die Trümmerfrauen, wie man die Generation später genannt hat, selbst machen. Es gab ja nicht so viele Männer, zumindest nicht im heiratsfähigen Alter. Die lagen alle auf den Schlachtfeldern in Russland, Polen und der Normandie. Die Wahl fiel dann nicht unerwartet gar manches Mal auf einen Soldaten der amerikanischen Besatzungsmacht, oft auch Farbige und oft zu Hause mit Familie. Zwar war der (intime) Kontakt mit deutschen Frauen eigentlich verboten (Fraternisierungsverbot), aber passiert ist es trotzdem oft; was dann nicht selten zu sog. Besatzer-Kindern geführt hat, die wegen ihrer dunklen Hautfarbe schon als kleine Kinder gehänselt wurden und es damals auch im weiteren Leben nicht leicht hatten. Insofern hatte ich in dieser Beziehung damals Glück und kam als Kind einer deutschen Familie in „ordentlichen“ Verhältnissen auf die Welt. Aber wie die Menschen damals tickten, ist mir schon als Kind nicht verborgen geblieben. Heute ist das zwar anders, hat sich aber zu extrem in die andere Richtung entwickelt. Habe ich damals die Diskriminierung von allein erzogenen Mischlings-Kindern nicht verstanden, so verstehe ich heute die Diskussion um eine gleichgeschlechtliche Ehe genauso wenig….

Die ersten 3 Jahre meines Lebens (Bild 4 Wochen) verbrachten wir zu fünft in einer 48qm 2-Zimmerwohnung. In einem Zimmer schliefen Klaus und die Oma, im anderen meine Eltern und ich im Gitterbett. Allerdings hatten damals die Wohnungen einen anderen Zuschnitt, die Küche war der Mittelpunkt des Lebens und als sog. Wohnküche ausgelegt. Deutschland’s erste Fussball-Weltmeisterschaft habe ich 1954 natürlich nicht bewusst erlebt, dazu war ich noch zu klein (7 Monate). Ich glaube aber, dass die Familie am Radio (Volksempfänger) die Spiele verfolgt hat. Einer der vielen „Bögen“ in meinem Leben ist, dass ich mich genau in dieser Wohnung etwas über 40 Jahre später bei einer Frau/Nachbarin bedankt habe, die sich bis zum Schluss um meinen Vater gekümmert hat….. (Bild 10 Monate).

Gerade als ich dieses Kapitel schreibe, veröffentlicht der Mannheimer Morgen (die lokale Zeitung) einen Bericht mit Bildern aus dem Stadtarchiv zu den 50er Jahren in Mannheim. Die Stadt hat noch eine Nachkriegs-Silhouette, die Trümmer sind zwar weg, aber die Ruinen stehen noch, u.a. der Turm des Alten Kaufhauses. Nach und nach eröffnen die Konsum-Tempel, wie C&A, Anker (später Kaufhof-Galeria) und Hansa (später Hertie) im Zentrum der Stadt rund um den Paradeplatz. Für Kinder hochinteressant war das „Nürnberger Spielwarenhaus“ in der sog. Breiten Strasse, die Mannheimer wissen das. Es war über etwa 3 Jahrzehnte die Institution für Spielwaren schlechthin. Alle Kinder drückten sich an den Schaufenstern die Nasen platt, ich auch. Überhaupt kehrte das Leben und der Konsum ins Leben zurück, der Zukunftsoptimismus war überall spürbar. Und wir Kinder spielten völlig unbefangen in den vielen Baustellen und Ruinen, wir wussten ja nicht, woher das kam.

Als ich etwa 3 Jahre alt war, zogen wir innerhalb des Hauses um; Familien bekamen damals einen „Wohnungsberechtigungsschein“ und mussten bei Vermietungen bevorzugt behandelt werden. Wir zogen innerhalb des Hauses aus dem Erdgeschoss in den 5. Stock, nach heutiger Sprachregelung ins 4. Obergeschoss, in eine 3-ZiKü-Dachgeschosswohnung, die für die nächsten 23 Jahre mein Zuhause werden sollte. Und ich besinne mich, damals ein 3-jähriger Stöpsel, dass wir zum ersten Mal einen Kühlschrank hatten, einen ATE; und ich bekam ein grosses Auto aus Plastik, in welches ich mich hineinsetzen konnte. Das sind 2 wichtige Dinge aus 1956/57, an die ich mich noch erinnern kann. Vater hatte inzwischen einen sicheren Arbeitsplatz gefunden, als Vorarbeiter bei der Schloz KG auf der Friesenheimer Insel. Er war gelernter Spengler, musste jetzt aber zunehmend Maschinen bedienen und Zeichnungen für die anderen erstellen. Die Firma war Zulieferer für die aufstrebende Automobilindustrie, u.a. für Opel und Ford, in späteren Jahren für Eberspächer Auspuffanlagen. Insofern hatte Vater einen sicheren Job und ein für damalige Verhältnisse vernünftiges Einkommen, anfangs ca. 300 DM/Monat, was sich aber steigerte. Aber wie das Einkommen stieg, verteuerte sich auch die Miete und andere Dinge des täglichen Lebens. Aber das waren andere und viel weniger wie heute; das kann sich kein Mensch mehr vorstellen. Das Gehalt bekamen die Männer – denn es waren zu über 90% nur Männer beschäftigt – am Monatsende in einer Tüte mit Abrechnungs-Schlips im Lohnbüro ausgehändigt und brachten es bar nach Hause. Dort wurde es für verschiedene Zwecke aufgeteilt und in separaten Häufchen in eine Schatulle gelegt, etwas, was ca. 60 Jahre später meine Schwiegereltern in der Ukraine immer noch machen. Soviel zur Veränderung der Welt und wie weit andere Länder bei dieser Entwicklung dabei sind…..

Alle, die Geld zu bekommen hatten, kamen am Monatsanfang oder -ende vorbei und kassierten persönlich, der Verwalter die Miete (mit Mietbuch), der Zeitungsausträger (Mannheimer Morgen), die Zeitschriften-Austrägerin (Stern), der Gasmann (Gas und Strom). Geheizt wurde mit Kohle, später, viel später, mit Gas. 2 Öfen gab es bei uns: einen in der Küche, einen im Wohnzimmer. Der dritte im Bad, wurde nur freitags angefeuert. Daher rührt der „Badetag“ Freitag, am Ende der Woche. Die Öfen mussten jeden Morgen mit Papier und Holz angefeuert werden, dann mit Briketts (Braunkohle, gegen die die Grünen wettern wie die Rohrspatzen), Kohle (Essnuss, Fettnuss) oder Eierbriketts (Wohnzimmer) zum Wärmen gebracht werden, ein mühsames Unterfangen; aber damals hatte man noch Zeit. Es gab höchstens Radio, noch kein Fernsehen, zumindest bei uns; Internet, Telefon oder gar Handy waren noch Lichtjahre entfernt. Die Eltern sassen abends beim Kaffee zusammen und haben erzählt, Kaffee war übrigens ein halbes Luxusgut. Wenn der Vater heimkam, hat er erstmal Zeitung gelesen, das war damals das wichtigste Informations-Medium. Den Haushalt hat die Mutter gemacht, geputzt, eingekauft, gekocht. Das war das Rollenbild der Frau in der damaligen Zeit (siehe auch entsprechender Bericht des Mannheimer Morgen, MM, wie oben erwähnt).

Mein Bruder Klaus hatte erstmal das Privileg des 3. Zimmers, das sog. Kinderzimmer, mit eigenem Bett, aber unbeheizt, ebenso wie das Eltern-Schlafzimmer, dort mit meinem Gitterbett in der Ecke. Immerhin hatten wir jetzt Platz auf über 75qm zu viert. Oma war in der unteren Wohnung geblieben. Die Schräge war gar nicht so schlimm, nur im Sommer wurde es manchmal ziemlich heiss. Isolierung nach heutigen Gesichtspunkten und Vorschriften: Fehlanzeige. Mannheim war damals auch noch nahezu 100% eine Industrie-Stadt, ziemlich schmutzig und mit viel Smog, wie man das später genannt hat. Desöfteren waren merkwürdige Gerüche von der BASF in der Neckarstadt wahrzunehmen. All das hat sich erst in den 70ern grundlegend geändert/gebessert.

Je älter ich wurde, umso mehr konnte ich bewusst am Leben teilnehmen und mich natürlich auch erinnern. An Schläge genauso wie an Schönes, z.B. den „Runden Spass“ rund um den Küchentisch vor dem Schlafengehen; und an das tägliche Abendgebet. So war halt die Erziehung damals. Sich heute als Missbrauchsopfer darzustellen, gehört meines Erachtens zur Wichtigtuerei um das eigene Ego und ist für mich ein Zeichen unserer (überhaupt nicht guten) modernen Zeit. Ja, ich habe unter den Schlägen (mit dem Rohrstock) gelitten, aber die Lehrer haben es später auch nicht anders gemacht….

Eisenbahn

Die Eisenbahn im Grossen und im Kleinen hatte und hat es mir immer noch angetan; natürlich auch als kleiner Junge. Zunächst bekam ich eine recht grosse, grobe Blechbahn zum Aufziehen, mit grossen Blechgleisen, die gerade so auf den Küchentisch passten. Zur Erinnerung: die Küche war zum Kochen und Wohnen damals, und entsprechend eingerichtet. In einer Ecke der Kohleofen, daneben der Gasherd zum Kochen. An den Wänden ein Küchenschrank und eine Art Kommode/Sideboard, dann meine kleine Spielecke mit rotem Kindertisch und Stuhl, daneben das Spülbecken, nur mit kaltem Wasser. Weiter rechts um die Ecke der ATE-Kühlschrank, zwischen vielen Türen zu Bad, Kammer und Diele. Und weiter rechts ein Sofa, zum Sitzen und Liegen. Und in der Mitte ein Tisch; zum Essen, Spielen usw., eine Wohnküche eben, sicher um die 20qm gross. Unsere Küche heute ist kleiner, aber das Esszimmer daneben offen angegliedert, insofern ein bischen angelehnt an frühere Zeiten, wenn auch modernisiert.

Nun, diese Eisenbahn zum Aufziehen hatte es mir angetan, Vater hat das realisiert. Übrigens habe ich Klaus zu der Zeit manchmal fast nicht wahrgenommen, weiss nicht warum. Um 1956/57 haben sowohl Märklin als auch Trix grosse Werbekampagnen gestartet, um ihre „elektrische Eisenbahn“ unter die Leute zu bringen. Die beiden Systeme konkurrierten, waren beide 3-Leiter, das eine Wechselstrom (Märklin), das andere Gleichstrom (Trix). Nichts konnte man tauschen, weder die Loks (Stromsystem) noch die Wagen (andere Kupplungen), was für uns Jungs extrem ärgerlich war und uns in Märkliner und Trixer spaltete. Daneben gab es noch fast unbemerkt das Fleischmann 2-Leiter-System, welches sich heute weltweit als vorbildgerecht durchgesetzt hat. Trotzdem geht die Pionierfirma Fleischmann später pleite, wird aber gerettet (sprich gekauft). Aber damals gab es eben nur Trix oder Märklin. Vater hat sich für Trix entschieden; weil damit bis zu 3 Züge unabhängig fahren konnten; wohlgemerkt: digital wird erst 40 Jahre später erfunden…..

Und wie wurde verkauft? In Form von sogenannten „Anfangspackungen“, die auch Vater gekauft hat. Da mein Geburtstag relativ nah an Weihnachten liegt, war das so eine Sache mit den Geschenken; andere haben vielleicht mehr bekommen. Aber zum Nikolaus (06.12.) gab es Süssigkeiten, zum Geburtstag (12.12.) meist Spielsachen, später von der Paten-Tante aus der DDR Bücher, und zu Weihnachten (24.12.) ab 1956 immer etwas für die Eisenbahn. Weihnachten 1956 gab es dann also die Anfangspackung Trix Express, mit einer kleinen Lok (Achsfolge B für die Fachleute), ein paar Personenwagen (Donnerbüchsen) aus Blech und ein Gleisoval. Die Lok fuhr noch nicht auf dem später üblichen 12V-Gleichstromsystem, sondern mit einer 4,5 V-Batterie. Sehr bald hat Vater das mit einem entsprechenden Trafo und einer Art Fahrpult gelöst, welches in Wirklichkeit ein regelbarer Widerstand war. Auf dem Trafo musste man Vorwärts und Rückwärts einstellen und mit dem Widerstands-Fahrpult die Geschwindigkeit regeln. Ich hatte schnell heraus, wie das geht und meine helle Freude an der „elektrischen Eisenbahn“. Alsbald kamen weitere Wagen – Güterwagen aus Plastik, Handweichen und ein Entkupplungsgleis hinzu. Damit liess sich schon ein interessanter Spielbetrieb aufziehen, aber alles noch auf dem Boden, mit Auf- und Abbau vor und nach dem Spielen. Allerdings war Klaus, wie schon erwähnt, bei diesem Thema irgendwie nicht dabei…..

Übrigens, vor der Haustür und damit vor dem Fenster lag der sog. Weinheimer Bahnhof der OEG, einer Schmalspurbahn, die im Ringverkehr Mannheim mit Viernheim, Weinheim, Schriesheim, Heidelberg, und Edingen verband, und über MA-Seckenheim wieder zurück nach Mannheim führte, dann aber in den sog. Heidelberger OEG-Bahnhof, drüben auf der anderen Seite der Kurpfalzbrücke über dem Neckar. Prinzipiell war über Anschlussgleise sogar Ringverkehr über die Strassenbahngleise der Brücke möglich. Verkehr und Rangieren der OEG-Bahnen, die damals von vielen 1000 Pendlern täglich genutzt wurden, habe ich am Fenster immer aufmerksam verfolgt und verstanden, obwohl ich noch so klein war. Ich hatte schon früh viel technisches Verständnis, was möglicherweise Vater auch gefördert hat.

Ja, und mit der richtigen Bahn mussten wir auch fahren; vieles lief ja damals noch mit Dampfloks. Wenn man bedenkt, dass noch in den 50ern 2 neue Dampflok-Baureihen gebaut wurden, die BR23 (1C1) für den Personenzug-Verkehr und die BR10 (2C1) für Schnellzüge; von letzterer allerdings nur zwei Prototypen, weil inzwischen mit der E10 und der V200 ebenbürtige Lokomotiven zur Verfügung standen, und die Zeit der Dampfloks langsam zu Ende ging.

In den 50er Jahren waren aber die Dampfloks schon noch in der Überzahl. Das habe ich als kleiner Junge mit grossem Interesse beobachtet, wenn wir mit der „grossen Eisenbahn“ verreist sind. Das war meistens im Sommer; es ging zur Tante (Schwester von Mutter) nach Oberfranken und von dort weiter zu Oma/Opa nach Greiz in die DDR; davon etwas später. Im Gegensatz zu heute durfte man damals den Bahnsteig nur mit einer gültigen Fahrkarte betreten; hat man jemand am Zug abgeholt, musste man eine sog. Bahnsteigkarte kaufen. Diese oder die Fahrkarten wurden an Sperren von der Bahnhofshalle hinaus auf die Bahnsteige kontrolliert. Wir benutzten einen Eilzug der West-Ost-Verbindung von Saarbrücken/Kaiserslautern über Heidelberg, Würzburg, Bamberg nach Hof bis nach Neuenmarkt-Wirsberg am Fuss der Schiefen Ebene. Das ist der Steilaufstieg auf das Hochplateau zwischen Frankenwald im Nordwesten und Fichtelgebirge im Südosten. Da damals in den 50ern noch niemand in der Familie ein Auto hatte, mussten wir dort von dem mit einer BR01 Schnellzug-Dampflok bespannten Eilzug in einen ebenfalls dampfbetriebenen Personenzug umsteigen. Der war entweder mit einer BR24 oder einer BR50 bespannt. Zum Schluss der Reise mussten wir in Falls nochmal in eine Kleinbahn (Normalspur) umsteigen, das sog. „Bockele“, welches mit einer B-Tenderlok, ein oder zwei Donnerbüchsen und eventuell angehängten Güterwagen die Verbindung nach Streitau und Gefrees herstellte. Lastwagen gab es damals wenige und, wie gesagt, PKW so gut wie gar nicht. Personen- und Gütertransport war nahezu ausschliesslich eine Aufgabe der Deutschen Bundesbahn, ihre Mitarbeiter Bundesbeamte. Alle, egal ob Lokführer, Heizer, Schaffner, Rangierer, Zugbegleiter. Solch eine Reise zur Tante, die man heute mit dem Auto über die A6/A9 in ca. 3,5 Stunden erledigt, war damals ein 7-8 stündiges Abenteuer. Als Kind hat mir das aber gefallen, und ich hatte schon vorher immer „Reisefieber“. Heute stelle ich die Reisen zur Tante, zu den Grosseltern in die DDR und zurück mit der Modellbahn nach, allerdings auf einem etwas späteren Stand, Mitte der 60er Jahre.

Menschen in meiner Umgebung, Freunde

Ich kannte viele andere Kinder, wir haben meist auf der Strasse miteinander gespielt. Mädchen und Jungs, aus dem Haus und ein paar Häuser weiter. Es gab viele Kinder damals, und man konnte noch auf der Strasse spielen, Autos gab es nur wenige. Unter den vielen Freunden war auch meine erste Freundin, mit 3 oder 4 Jahren. Dann ist ihre Mutter – sie war wohl allein erziehend – weggezogen, und ich war traurig. Der erste „Liebeskummer“ in meinem Leben – und da sollte noch viel, sehr viel mehr nach kommen. Ich habe dieses Ereignis Jahrzehnte später in der ersten Strophe eines Songs festgehalten, welcher sich mit menschlichen Beziehungen beschäftigt, „Partly the Same Way“. Ein anderes Mädchen war ein wenig schwachsinnig, trotzdem habe ich öfter mit ihr gespielt, eine Ingrid. Sie bzw. ihre Mutter hat mich einmal in den Kindergarten mitgenommen, zur Probe. Das war aber nicht mein Ding, die vielen anderen Kinder haben mich nervös gemacht, und das, obwohl ich viel mit anderen Kindern gespielt habe. Es ist mein einziger Tag im Kindergarten geblieben, ich wollte lieber zu Hause bleiben.

Ein Zuhause, das schön war, mit Spielsachen, die mir gefallen haben, und dann sogar einem Wellensittich, der klug und zutraulich war und sogar gesprochen hat. Später ist er einmal entflogen, aber wir haben ihn wieder bekommen.

Das Zuhause konnte jedoch auch langweilig, im Sinne von „Boring“, sein. Denn schliesslich hatten auch die Eltern Freunde, die sie besucht haben oder umgekehrt. Bis auf einen Mann, der gelähmt im Sessel sass, Hr. Ihle. Zu denen sind wir natürlich immer nur hingefahren; mit der Strassenbahn, dann mit dem Bus, nach Neuhermsheim. Von der Veranda aus konnte ich den Mannheimer Rangierbahnhof beobachten, damals und heute einer der grössten Deutschlands. Zu Dampflokzeiten gab es da natürlich viel zu sehen.

Ansonsten waren die Leute für mich als Kind langweilig. Was aus heutiger Sicht noch dazu kommt, war aber eigentlich noch beunruhigender; als Kind habe ich das natürlich noch nicht so richtig verstanden, aber durchaus wahrgenommen. Da gab es diese Familie Ihle, eine gewisse „Rosel“ Voitel, eine aus der DDR geflüchtete Tochter eines Spediteurs aus Greiz, eine Freundin von Mutter. Und in Grünstadt eine Familie Wehlage, der ebenfalls aus der DDR stammende ehemalige Lehrer meiner Mutter, mit vergleichsweise junger Frau und einem Sohn, Dieter. Immerhin hatte ich da einen Spielgefährten. Und die Fahrt dorthin, meist sonntags, war echt interessant: erst mit der Strassenbahn von Mannheim zum Hauptbahnhof Ludwigshafen, der damals noch Kopfbahnhof war. Dann mit dem Zug nach Frankenthal, und von dort mit dem Schienenbus nach Grünstadt. 3 Stunden Fahrt hin, 3 Stunden Besuch, 3 Stunden wieder zurück.

Aber all diese Leute waren wesentlich wohlhabender als wir, das habe ich durchaus wahrgenommen; die Eltern sind immer maximal seriös aufgetreten, in den besten Sonntags-Kleidern, ich auch. Aber trotzdem war für mich spürbar, dass wir die „Underdogs“ waren. Vater war eben nur Arbeiter, Mutter hat nicht gearbeitet, wie viele Frauen damals. Eine Ausnahme war eben jene Rosel, die als Spediteurin bei Rhenus und Rhenania gut verdient hat, und auch die erste war, die mit einem Auto angerauscht kam, einem VW Käfer.

Ja, und dann wurde es einmal richtig gruselig und gefährlich, ich habe das damals natürlich nicht vollständig verstanden, habe es später aber erklärt bekommen: es gab einen Doppelmord/Selbstmord im Haus, 2 Wohnungen unter uns. Mein Bruder ist dem Mörder nachts auf der Treppe begegnet, als er heimkam. Der hatte das Beil in der Hand, mit dem er anschliessend seine Frau erschlagen hat. Deren Hilferufe aus dem Fenster hat keiner gehört oder nicht ernst genommen. Anschliessend hat sich der Mann vor den Gasherd gelegt und den Hahn aufgedreht. Wir hätten alle in die Luft fliegen können. Irgendwie hat da mein Vater geistesgegenwärtig gehandelt. Er hat am nächsten Morgen den Gasgeruch wahrgenommen und den Haupthahn im Keller abgestellt, anschliessend durch Klopfen (nicht Klingeln) die Nachbarn aus dem Bett geholt. Wer wie die Polizei geholt hat, weiss ich nicht, jedenfalls wurde sein Handeln nachträglich gelobt. Die Familie Ling hatte sich im 3. Stock nun selbst ausgelöscht, die Wohnung stand eine Weile leer, dann zog ein ebenfalls kinderloses, nettes Paar ein, Familie Binnewies, die später quasi zu Nachbars-Freunden wurden und uns auch immer wieder einmal das Telefonieren an ihrem Apparat ermöglicht haben. Unsere eigentlichen Nachbarn, in der Wohnung nebenan, war aber eine Familie Wieland, mit einer grossen Tochter.

Einkaufen in den 50ern, Geschäfte im Quartier

Ja, die grossen Töchter, das war auch so ein Thema im Wohnquartier in der Neckarstadt-Ost von Mannheim. Hat wohl etwas mit den vielen fehlenden Männern im „besten Alter“ zur damaligen Zeit zu tun. Wie erwähnt, waren ja viele von denen nicht mehr aus dem Krieg zurückgekommen. Ganz im Gegensatz zu heutigen Wohnquartieren war das damals in der Neckarstadt – zum Teil sogar heute noch – ein gemischtes Wohn- und Geschäftsviertel, mit vielen kleinen Geschäften der verschiedensten Art, alle in Laufentfernung. Da war z.B. im weiteren Verlauf der Käfertalerstrasse, wo wir in der Nr. 23 wohnten, an der Ecke zum nächsten Quadrat ein sog. Kolonialwarenladen, also ohne Frisch-Lebensmittel. Inhaber eine Familie Etzelsbeck; ein älteres Ehepaar mit einer erwachsenen (grossen) Tochter, die zwar beruflich sehr tüchtig, aber zum Leidwesen der Eltern an dem Geschäft nicht besonders interessiert war. Im weiteren Verlauf gab es eine Ruine, ein Haus mit nur einem oder zwei Stockwerken; dort kam etwas später eine Schnell-Reinigung hinein. Wieder ein Stück weiter gab es den Getränkehandel Lederer, daneben die Bäckerei Knupfer, mit einem Sohn, Peter, in meinem Alter, von ihm wird später noch die Rede sein. Und direkt daneben die Drogerie Moll, eine Drogerie im alten Sinn, und wieder mit einer grossen Tochter, welche aber in diesem Fall ins Geschäft mit eingestiegen ist.

Gehen wir statt geradeaus mal um die Ecke beim Geschäft von Etzelsbecks und biegen in die Untere Clignet-Strasse ein. Dort war auf halber Quadratstrecke ein Friseur, Schmelzinger. Dann weiter zur nächsten Kreuzung mit der Eichendorff-Strasse: Links auf der Ecke ein Metzger, Name vergessen, ein paar Meter rein in die Eichendorff-Str. die Bäckerei Grimminger. Interessant diese Familie und deren Geschichte, zumal sie einen Sohn in meinem Alter hatten, und der Vater später ein berühmter Mannheimer und Bloomaul-Orden-Träger wurde. Der Bloomaul-Orden ist die höchste bürgerschaftliche Ehrung in Mannheim und wird Leuten mit besonderen Verdiensten um die Heimatstadt und deren Sprache (Dialekt) verliehen. Und wenn einer diese Ehrung verdient hat, dann dieser Richard Grimminger; ein Mann der Tat und Hilfe, Herz und Zunge immer am richtigen Fleck, Chappeau! Schon sein Vater hatte die Bäckerei, und dann hat er nach dem Krieg geholfen und morgens beim Brötchen-Austragen diese junge Halb-Weissrussin Sascha kennengelernt, die alsbald seine Frau wurde und dann 65 Jahre mit ihm verheiratet war; wieder Chappeau! Sie bekamen 2 Kinder, Michael, ein halbes Jahr älter als ich, heute der Patriarch des inzwischen grossen Familien-Unternehmens, und seine jüngere Schwester Gabi. Von Michael und mir wird später noch einige Male die Rede sein, wir sind uns in verschiedenen Situationen im Leben immer wieder über den Weg gelaufen, in wirklich positivem Sinne.

Zurück zur Kreuzung Untere Clignet Str./Eichendorff-Str.: An der rechten Ecke entstand etwas später ein Schreibwaren-Geschäft, von Fr. Mayer. Das war auch so eine anpackende Trümmerfrau, mit viel Energie und Geschäftssinn. Als sie eröffnet hat, war ich wohl schon in der Schule, und natürlich habe ich viel bei ihr gekauft; eine nette, energische Frau, auch mit dem Herz am rechten Fleck. Ihr Mann hat manchmal im Laden geholfen; wahrscheinlich hatte er noch einen eigenen, anderen Beruf, ich weiss es nicht, nehme es aber an. Bei ihr um die Ecke, in der Eichendorffstr. weiter, ging es zunächst zu einem Geschäft für Malerei-Bedarf, Farben, Lacke, Tapeten (Bergbold); und daneben war ein Lebensmittel-Geschäft, das der Familie Grieshaber, auch wieder mit einer erwachsenen Tochter, Elfriede, die zunächst auch im Geschäft mit tätig war. Im Gegensatz zu Etzelsbecks gab es dort auch frische Lebensmittel, deswegen war das Geschäft auch räumlich in zwei Teile getrennt. Im sog. „Milchladen“ führte die alte Fr. Grieshaber resolut Regie. Bei ihr gab es u.a. frische Milch zu kaufen. Wie sah das am Anfang aus? Ich bin mit Mutti, später auch allein, mit einer Blech-Milchkanne zu ihr gegangen und habe Frischmilch verlangt. Dann hat sie die Kanne genommen und durch ein grosses Becken, gefüllt mit Frischmilch, gezogen. Damit war die Kanne gefüllt, Deckel drauf, wiegen, fertig! Später wurde das (unhygienische) Durchziehen von Kannen ersetzt durch das Abfüllen mit einem Hahn aus dem Tank. Aber was man selbst mit der Kanne vorher gemacht hatte, konnte ja kein Mensch kontrollieren. Trotzdem sind wir alle damals dadurch nicht umgekommen, nur mal so zu bedenken, was wir heute für Hygiene-Vorschriften haben…..

Bei Fr. Grieshaber gab es auch Quark und später Joghurt, und natürlich Käse. Wenn man dort fertig war, und brauchte z.B. noch Kaffee, Gemüse, Nudeln oder Obst, musste man noch in den anderen Laden gehen und sich nochmal anstellen. Ein Einkauf bei Grieshabers hat schon leicht mal an die 2 Stunden in Anspruch genommen; die Zeit hatte man damals. Aber es gab damals noch ein Ladenschlussgesetz; abends um 18:30 Uhr wurde das Geschäft geschlossen. Entsprechend böse waren die Berufstätigen, die nur wenig Zeit für die Einkäufe hatten, wenn abends etwa Rentner im Laden aufgetaucht sind. Zusammengerechnet wurde auf einem Block mit Kuli, bezahlt natürlich bar – was sonst – und die Stammkunden hatten ein Rabattmarkenheft für die Rabattmarken, die es für jeden Einkauf gab. Ein vergleichbares modernes System ist heutzutage Payback, welches ganz ähnlich, aber digital, funktioniert.

Das Thema Einkaufen gab es übrigens auch noch im Kleinen; ich sagte ja bereits, dass ich viele Spielkameraden hatte, schliesslich gab es damals viele Kinder. Darunter waren auch Mädchen; ich hatte ja bereits die eine Ingrid erwähnt. Die, mit der ich einen Tag im Kindergarten war. Dann gab es noch eine zweite, Ingrid Lechler, ein paar Häuser weiter in der Käfertalerstr.; die hatte einen Kaufmanns-Laden, da konnte man toll miteinander spielen, das hat Spass gemacht. Ich habe sie dann aus den Augen verloren und ca. 10 Jahre später als Teenager wieder getroffen; doch das ist eine andere Geschichte. Ich selbst hatte keinen Kaufmanns-Laden, aber eine Post; das war auch eine schöne Sache und hat mich vielleicht später dem Thema Briefmarken (Bild: Briefmarken der BRD 1949-1952) näher gebracht.

Aber wie man sieht, in unserem Wohnviertel gab es auf engstem Raum jede Menge Geschäfte, die alle später im Laufe der Jahre kaputt gegangen sind. Überlebt haben nur Grimmingers, die sind richtig gross geworden, und eine Metzgerei, die aber etwas weiter weg in der Lange-Rötter-Str. war, die Metzgerei Kirchenbauer, die sehr schmackhafte Wurst gemacht haben. Dort in der „Hauptstrasse“ der Neckarstadt-Ost, gab es auch eine Post, das erste Kaiser’s Kaffee Geschäft (der Vorläufer von Kaiser’s Tengelmann), eine Apotheke, ein Reformhaus, eine Wäscherei, später noch ein Blumengeschäft, auch etwas später eine Drogerie Deck und ein Fischgeschäft mit frischem Fisch, Fisch-Überle. Eine Familie, die irgendetwas mit meinem Vater zu tun hatte. Dort hat Mutter immer den Fisch für Freitags gekauft; und auf dem Weg zurück durch die Chamisso-Str. gab es auf der Ecke noch den Kraut-Korfmann; dort konnte man eingelegtes Kraut, also Sauerkraut, kaufen. Und gegenüber auf der Ecke, auf einem freien Areal zwischen den Häusern auf dem Weg zum Grimminger, war der Platz der Spedition Helfert mit einigen Lastwagen. Die Obere und die Untere Clignet-Str. liefen um unser Quadrat, in welchem wir von hinten auf die Backstube von Grimmingers blicken konnten, und im weiteren Verlauf nach Kreuzung der Eichendorff-Str. spitz aufeinander zu; auf eine 5er-Kreuzung, an deren Ecke übrigens auch eine Bäckerei war, und etwas weiter eine Metzgerei. Aber der Platz dazwischen war ein grosser Kinderspielplatz, der Clignet-Platz, mit grossem Sandplatz und einigen Spielgeräten unter mächtigen Bäumen, ich glaube, es waren Kastanien. Den Platz gibt es auch heute noch. Dort war ich natürlich mit Mutti oft, später auch allein. Die Welt war damals sehr kinderfreundlich, es gab viele davon; das durch den Krieg ausgeblutete Deutschland brauchte auch Kinder. Und es war noch wenig Verkehr auf den Strassen, dadurch war das Spielen draussen relativ ungefährlich. Das Wohnquadrat bot sich natürlich auch für allerhand aufregende Kinderspiele an, vom Verstecken bis zum Rasen ums Quadrat mit Roller oder Fahrrad; ich hatte einen Roller, manche Freunde ein Fahrrad oder auch einen Roller, aber aus Holz. Aber alles war o.K., Hauptsache es war schnell: Wenn man dann allerdings hingefallen ist, waren Hose und Knie kaputt; manchmal gab es dazu hinterher noch auf den Popo….

In der Zeit Geborene

Im späteren Blick auf das Leben gibt es das Phänomen der zu (fast) gleicher Zeit Geborenen, die sich entweder kannten und aus den Augen verloren haben, oder umgekehrt nie voneinander wussten, sich später im Leben begegnen und dann feststellen, dass sie entweder zur gleichen Zeit geboren wurden oder im gleichen Viertel gross geworden sind.

Zur letzteren Kategorie gehören mein Nachbar und eine spätere Abteilungs-Sekretärin, die aber beide deutlich jünger sind als ich. Von daher ist es verständlich, dass man sich als Kind nicht begegnet ist, denn Kinder bevorzugen das Spiel mit Gleichaltrigen.

Aber zwei andere gab es, die im gleichen Kreisssaal wie ich geboren wurden. Die Mütter lagen im gleichen Zimmer im Krankenhaus, und sie waren es, die eigentlich den Kontakt hielten, nicht die Kinder. Die waren halt „zwangsweise“ mit dabei, in meinem Fall Gerold Seitz, der am 07.12. geboren wurde und Karlheinz Veith, der am 10.12. geboren wurde. Gerold habe ich bald aus den Augen verloren, dann irgendwann wieder gefunden, wieder verloren, und ein letztes Mal waren wir für 3 Jahre in der gleichen Klasse im Gymnasium bis zum Abitur. Dann ist der Faden wieder gerissen und das bis heute. Mit Karlheinz Veith habe ich oft gespielt; die Familie hat nicht weit weg gewohnt, an der spitzen Strassenecke zwischen Mittel- und Waldhofstrasse über der Firma Aretz. Interessant war zudem, dass ihm sein Vater auch eine Trix Express Eisenbahn gebaut hat und wir somit „kompatibel“ waren. Allerdings hatten wir beide fast das gleiche rollende Material. Soviel wie heute gab es damals noch nicht, und dann war auch alles eine Frage des Geldes. Der grosse Unterschied zwischen unseren Anlagen (als die auf ein Brett gebaut waren) war, dass meine fest verlegt, final gebaut und mit einer kleinen Stadt ausgeschmückt, seine aber ohne festen Aufbau war. Das sah zwar nicht so schön aus, bot aber flexible Spielmöglichkeiten. Er hatte auch mehr Weichen und Signale als ich. Als wir in die Schule kamen, haben wir uns aus den Augen verloren und nur noch selten gesehen, denn Karlheinz ging in die Humbold-Schule, ich in die Uhlandschule. Aber das Leben sollte noch weitere „Karlheinze“ für mich bereithalten.

Kurz vor mir, etwa 1,5 Monate, wurde am 26.10.1953 in Mannheim ein gewisser Peter Seiler geboren, der mir später in der Musikszene als die „deutsche Antwort auf Keith Emerson“ begegnete und dann nochmal viel später im Luisenpark als Komponist der Klang-Oase. Davon wird später noch die Rede sein.

Ja und last, not least wurde ein gutes halbes Jahr nach mir am 17.07.1954 in Hamburg eine gewisse Angela Dorothea Kasner geboren. Ihre Eltern, eine sozialistisch-protestantische Pastorenfamilie, siedelte wenig später in die DDR über. In einer Zeit, als eigentlich die meisten eher aus der bereits bestehenden DDR in den Westen umsiedelten oder gar flüchteten. Dieses kleine Mädchen bleibt zunächst für den westlichen Teil Deutschlands unsichtbar, bevor es nach dem Mauerfall als Angela Merkel in die Bundespolitik eingreift und schliesslich 2005 sogar Kanzlerin wird, die schlechteste, die wir je hatten, wie ich vorausschauend bereits 2007 recht laut formuliert habe. Wie kann auch jemand, der in der DDR sozialisiert wurde, wissen, wie Demokratie funktioniert. Diese Frau hat ein „Volkskammer-Politikverständnis“ und macht Ihre Politik im Hinterzimmer, um ihre einsamen Entscheidungen danach, wie einst in der DDR-Volkskammer durch Politik-Marionetten abnicken zu lassen. Dieses knapp nach mir geborene kleine Mädchen regiert mich also jetzt, ganz gegen meinen Willen und schlecht noch dazu. Ich habe auf meinem Lebensweg wahrlich geeignetere Menschen für den Job des deutschen Bundeskanzlers kennengelernt…..

Nachbarschaft von OEG und Messplatz, Ausflüge mit Klaus

Wir wohnten in der Nähe der Hauptfeuerwache, da hat man alle Einsätze mitbekommen, aber auch die Männer in ihrer Freizeit Fussball spielen gehört (und gesehen) und die Probeausfahrten jeden Morgen. Vom Turm der Feuerwache haben Artisten bei ihren Auftritten ein Hochseil zu einem auf dem benachbarten Platz aufgebauten Mast gespannt und dort in schwindelerregender Höhe ihre Kunststücke vollbracht. Wir hatten bei diesen Auftritten der Traber Artistenfamilie einen Logenplatz bei freiem Eintritt. Täglich hingegen konnte ich die Fahrten und Rangierfahren der OEG beobachten, deren Bahnhofsgleise direkt vor unserem Haus verliefen, getrennt allerdings noch durch die zu dieser Zeit wenig befahrene Käfertaler Strasse. Auf dem dahinter liegenden Platz, dem sog Weissen Sand, wo auch die Trabers aufgetreten sind, fand auch regelmässig ein Wochen-Markt statt. Auf der Mitte des Platzes befand sich ein kleines Gebäude, das sog. Marktstübl, in dem eine Nachbarin arbeitete, Fr. Krapp. Sie hatte einen Sohn im Alter von Klaus, ich glaube, sein Name war auch Karlheinz. Der ist später zu IBM und dann sogar in die USA gegangen. Davon und von IBM wird später nochmal die Rede sein. Klaus hat bei einem Kaffeeröster gelernt, der ihn aber nach Abschluss der Lehre nicht übernommen hat. Er ist dann als Kaufmann zu Gerling in die Versicherungsbranche gegangen.

Auf dem Platz hinter der OEG, der schliesslich Neuer Messplatz genannt wurde, fand im Frühjahr und Herbst die Mai- oder Herbstmesse statt, mit Vergnügungsfahrgeschäften. Auch diese konnte ich vom Fenster zu Hause beobachten, was mich sehr fasziniert hat. Da gab es in den späten 50ern und frühen 60ern manch interessante Fahrgeschäfte, z.B. die Raupenbahn, ein Rundfahr-Karussell, welches im Laufe der Fahrt die Wagen mit einem raupenähnlichen Überbau geschlossen hat. Dieses „unheimliche“ Fahrgefühl im Dunkeln wurde später aus Sicherheitsgründen untersagt. Bei einer Messe Anfang der 60er wurde auf einmal eine unglaublich schnelle Achterbahn aufgebaut, der „Blitz“. Nach dem Hochziehen stürzten die Wagen im ersten Tal bis fast auf Bodenhöhe nach unten, unglaublich schnell und unter ohrenbetäubendem Lärm. Ein anderes Rundfahrgeschäft hat auf einer Rampe abgehoben und abgefedert wieder aufgesetzt. Dieses „Ding“, leider weiss ich den Namen nicht mehr, haben wir mit Klaus‘ Märklin Metallbaukasten zu Hause nachgebaut, nachdem wir zusammen auf der Messe gewesen waren. Das hat er in den frühen Jahren öfter mit mir gemacht. Und im Nachbauen mit dem Märklin-Kasten war er sehr geschickt, ich konnte das nicht, habe nur anschliessend damit gespielt, weil er es funktional gebaut hat.

Auf dem Alten Messplatz auf der anderen Seite der Feuerwache wurden vor Weihnachten Tannenbäume verkauft, damals in der Hauptsache Fichten, dazu ein paar Buden aufgestellt, mit Weihnachtsgebäck, Weihnachtsschmuck, Suppen und Bratwurst. Das könnte man als die frühen Anfänge des heutigen Weihnachtsmarktes bezeichnen. Ab 1962 fand der Maimarkt, der im Gegensatz zur Messe eine Landwirtsschafts- und Verkaufsschau war, auf dem Friedensplatz gegenüber dem Luisenpark statt. Auch dorthin nahm mich Klaus Anfang der 60er einmal mit, obwohl er da schon nicht mehr zu Hause gewohnt hat. Der Maimarkt hat dort bis Anfang der 80er Jahre stattgefunden, während die Messe 1963 auf einen wieder Neuen Messplatz in der Neckarstadt, nahe dem Herzogenriedpark, umgezogen ist, wo sie heute noch stattfindet. Der „Weisse Sand“ wurde dann nach und nach zugebaut, der Blick zum Neckar verschwand, endgültig in den frühen 70ern mit Schulen und der sog. Neckarufer-Nord Bebauung, einem Teil der riesigen Umgestaltung Mannheims im Vorfeld der Bundesgartenschau 1975, die die ganze Stadt verändert hat. Mehr dazu später.

Winter in den 50ern und beinahe 2 Mal gestorben

Aber zurück in die 50er Jahre und den Winter. Das war toll; damals gab es noch „richtige Winter“, jedenfalls in meiner Erinnerung. Erstens gab es wohl wirklich längere Kälte- und Schneeperioden wie heute, und zweitens durfte der Schnee auch liegen bleiben. Diese verfluchte Räumpflicht bestand entweder damals nicht, oder man hat sie nicht so ernst genommen wie heute. Und wenn es geschneit hat, sind wir mit den Schlitten losgezogen, Richtung Neckarwiesen. Dabei war meistens nur ein kleines Stück rund um den sog. Weinheimer OEG-Bahnhof geräumt und gestreut. Heute kommen die Kinder ja nicht mehr an einen kleinen schneebedeckten Hang, ohne sich vorher die Kufen total kaputt zu machen. Ein blödes Gesetz, diese Räumpflicht, und wie so vieles in Deutschland nur gemacht, um sich juristisch zu schützen. Wenn früher jemand gestürzt ist, hat er niemanden verklagt. Heute übernehmen das ja sogar die Krankenkassen, weil sie das Gipsbein nicht bezahlen wollen… Das ist eines der vielen Dinge, die ich im Laufe meiner Geschichte immer wieder thematisieren werde, denn diese Republik, dieses Land, ist heute nicht mehr das, in welchem ich geboren wurde und die ersten 30-40 Jahre meines Lebens verbracht habe. Und die Veränderung ist bei weitem nicht nur positiv; das hat nichts mit Verklärung der Vergangenheit zu tun.

Während die Winter schneereich und toll waren, gab es ansonsten für mich, so klein ich noch war, allerhand gefährliche Situationen zu bestehen, zwei davon konnten mich sogar das Leben kosten. Die erste Schrecksituation war zwar nicht lebensgefährlich, hat mich aber für mein Leben geprägt, als ein Schäferhund nach mir schnappte und mich ins Bein gebissen hat. Der Hund hat anschliessend Prügel bekommen und mein Bein wurde verbunden, fertig. Heute würde das nicht ohne Anzeige und Schmerzensgeldforderung abgehen, gedeckt durch die allgegenwärtige Rechtsschutzversicherung. So etwas gab es damals noch nicht, siehe auch obige Ausführungen zu Stürzen und Räumpflicht. Und ein weiterer Hauptunterschied: damals hat der Hund (zu recht) Prügel bezogen von seinem Herrn. Heute wird man von der Tusse (denn zu 90% treffe ich nur Frauen mit Hund) noch angeschnauzt, wie man denn so oder so etwas tun kann; das würde den armen Hund doch nur reizen, als ob sie mit ihrem scheiss Köter allein auf der Welt leben würde. Ja wo leben wir denn eigentlich? Ganz abgesehen vom generellen Thema Frauen in Deutschland. Dazu werde ich noch ausführlich Stellung beziehen, und das ohne jegliche political correctness; Fr. Schwarzer zähle ich nämlich zu meinen Intimfeinden….

Doch dann wurde es wirklich ernst. Mutter hat ein Essen zubereitet, welches ich nie wirklich mochte und nach dem Vorfall bis heute nicht mehr esse: gekochtes Rindfleisch mit Meerrettich-Sosse. Dazu hat sie damals frischen Meerrettich gekauft und in eine Schale gerieben, die sie mit irgendetwas abgedeckt hat. Wahrscheinlich ein kleiner Unterteller, denn so etwas wie Frapan gab es noch nicht. Neugierig wie ein kleiner Junge nun mal ist, habe ich den Deckel hochgehoben und hineingerochen. Einen tiefen Zug habe ich gemacht – und das war dann auch beinahe mein letzter! Der scharfe Meerrettich-Geruch hat mir vollständig den Atem genommen, so dass ich 2-3 Minuten lang keine Luft mehr holen konnte, technisch gesprochen vor allem deswegen, weil ich nicht ausgeatmet habe, nicht ausatmen konnte und zunehmend tiefrot angelaufen bin. Erst hat Mutter einen Augenblick gebraucht, um zu realisieren, was passiert ist, dann hat sie mich geschüttelt – ohne Erfolg – und hat angefangen zu weinen. Dann endlich hat sie mich geschlagen, auf den Rücken; das hat schliesslich die Blockade gelöst, und ich habe ausgeatmet und anschliessend wieder ein. Selten war ich so glücklich, Haue bekommen zu haben….. Seitdem ist für mich Meerrettich tabu, ebenso wie ich keine Hunde mag. Aber der Meerrettich hat später noch eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt, nämlich in Form des darin vorkommenden Enzyms POD (Peroxidase).

Und schliesslich kam es noch schlimmer, ich bin mir nicht sicher, ob ich schon in der Schule war, wahrscheinlich war es kurz davor. Ich habe mit ca. 6 Jahren eine Lungenentzündung bekommen (später im Leben sollten noch einige nachfolgen). Das wurde sehr spät erkannt, und da war es nach Aussage des Arztes zu spät fürs Krankenhaus, ich sei nicht mehr transportfähig. Antibiotika gab es anscheinend noch nicht, und ob ich Penicillin bekommen habe, weiss ich nicht. Jedenfalls lag ich im Fieberwahn auf dem Sofa in der Wohnküche, die Mutter Tag und Nacht in grosser Sorge um mich herum. Mit Wadenwickeln wurde das hohe Fieber (wohl um die 40°C) bekämpft. Ich war die meiste Zeit gar nicht mehr richtig bei mir und habe wohl schon Gevatter Tod in die Augen geschaut. Der Arzt kam jeden Tag und war in grosser Sorge; er hat später gesagt, dass er befürchtet hat, dass ich das nicht überlebe. Wie lange ich so im Delirium lag, weiss ich nicht mehr, insgesamt war ich wohl an die 6 Wochen schwer krank und danach nur noch Haut und Knochen; klar, denn die meiste Zeit habe ich ja nichts mehr gegessen. Anschliessend haben mich die Eltern wieder aufpäppeln müssen, was aber gar nicht so einfach war, denn zu allem Überfluss habe ich schlecht gegessen und wollte alle möglichen Sachen nicht essen/trinken. Neben „Sanostol“ war einer der „Aufbaudrinks“ Rotwein mit geschlagenem rohem Ei, etwas, was man nicht wirklich schlucken möchte. Aber schliesslich kam ich wieder einigermassen auf die Beine und Ostern 1960 dann schliesslich in die Schule.

Eigentlich hätte ich in dieser Zeit noch ein Brüderchen bekommen. Aber Mutter hatte eine Fehlgeburt und verlor das Ungeborene. So musste ich meinen weiteren Lebensweg wohl oder übel allein gehen. Klaus war über 16 Jahre älter und schon eine andere Generation; deshalb wurde ich letztendlich als Einzelkind gross.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert