Prolog (1920-1953)

Vielleicht habe ich sorbisches Blut in meinen Adern. Das würde meine Distanz zum Deutsch-Sein und meine Affinität zu slawischen Frauen erklären, denn die Sorben sind Slawen. Aber das liegt natürlich in der Vergangenheit, bei meinen Vorfahren, und da bin ich mir nicht ganz sicher. Es könnte aber sein; meine Mutter Ilse stammt aus Greiz in Thüringen. Der Name ist sorbischen Ursprungs und wird eigentlich Gre-itz ausgesprochen, was nur kein Mensch macht.

Und sie war eine der Witwen dieses unsäglichen Krieges, den einer im Namen Deutschlands losgetreten hat, aber eigentlich gar kein Deutscher war. Meine Mutter, 1920 geboren, hat sich als junge Frau, ca. 20-jährig im Kriegslazarett in Greiz in einen jungen Offizier der Wehrmacht verliebt und ihn mehr oder minder auf der Stelle geheiratet. Dann musste der, wieder genesen, zurück an die Ostfront und sie besuchte derweil ihre Schwiegereltern auf dem ausgedehnten Gut in Ostpreussen; davon hat sie immer wieder erzählt. Schon allein die Reise dorthin war ein Abenteuer; zunächst nach Berlin, dann zum Anhalter Bahnhof, den es heute nicht mehr gibt. Von dort starteten die Züge ins 900 km entfernte Ostpreussen. Wie unvorstellbar gross doch das Deutsche Reich damals war, der Grössenwahn, es noch weiter zu vergrössern, ist deshalb heute umso unverständlicher. Aber das nationalistische grossdeutsche Gedankengut hat damals einfach die Begründung geliefert.

Derweil war eine Tante von ihr, auch aus Greiz, inzwischen schon 13 Jahre mit einem jungen Mann aus Mannheim verheiratet, meinem Vater. Die beiden hatten sich über die Musik kennengelernt, Mandolinen-Orchester, und zu diesem Zeitpunkt bereits 2 Kinder, meine 1928 geborene Schwester Waltraud und mein 1937 geborener Bruder Klaus. Sie wohnten in Mannheim-Waldhof, dorthin war seine Frau Klara meinem Vater gefolgt. Aber der Mann, mein Vater Leonhard, musste spät in den Krieg, ich glaube, es war 1944. Ziel Jugoslawien, Partisanenkrieg. Sein Einsatz führte ihn nach Split und dann in Gefangenschaft, Kontakt nach Hause: über viele Jahre gleich null.

Frau und Kinder wurden aus dem im Bombenkrieg von den Tommys schwer zerstörten Mannheim ins vergleichsweise friedliche Greiz evakuiert, wo ja Klara auch herstammte. Derweil war meine Mutter Ilse mehrfach auf dem Gut in Ostpreussen, aber ihren Mann hat sie seit der Heirat nie wieder gesehen. Irgendwann galt er in einer der Schlachten an der Ostfront als verschollen und dann als gefallen, gefunden hat man ihn nie….

Dann war der Krieg vorbei, meine Mutter junge Kriegswitwe und Vater in Gefangenschaft in Jugoslawien, wo er mit einem Mitgefangenen sanitäre Anlagen im Lager baute. Aber niemand wusste, wo er war. In der Nachkriegszeit gab es einen eiskalten Hungerwinter, ich glaube, das war 1948. Da starb Klara, an Hunger und Kälte. Die beiden Kinder waren Waisen, weil ja auch der Vater verschollen war. Der kam 1949/50 heim, nach Mannheim, nach Waldhof. In der Wohnung lebten andere Menschen, seine Familie war verschwunden. Nach Recherchen fand er seine Kinder in Greiz, und das Grab seiner Frau………

Irgendwie hat er dann sein unermessliches Leid aufgearbeitet, dabei auch seine Nichte Ilse, die Kriegswitwe, kennengelernt und wohl auch eine neue Mutter für seine 2 Kinder gesucht. Wobei er der grossen Tochter, die schon über 20 war, böse war und ihr vorwarf, sie hätte die Mutter verhungern lassen. Dem war nicht so, wie mir mein Bruder Klaus immer wieder versichert hat. Aber nichtsdestotrotz gingen Vater und Waltraud von da an stur getrennte Wege. Klaus hingegen war 1952 erst 15 und brauchte durchaus noch eine Familie und (Stief-)Mutter. Ilse reiste 1952 mit dem Versprechen der Verlobung, welches damals noch eine viel grössere Bedeutung hatte, legal aus der bereits existierenden DDR aus und kam nach Mannheim in die Neckarstadt, wo die Mutter von Vater Leonhard eine kleine Wohnung hatte. Dort kam dann Ende 1953, im Dezember, ich auf die Welt. Als Kind von Leonhard und Ilse Emmert, zweier Kriegsgebeutelter, Opfer des GröFaZ im Kleinen. Über die Besatzungszonen (Thüringen erst amerikanisch, dann Rückzug zugunsten der Roten Armee wg. Berlin; Mannheim amerikanisch) brauchen wir hier jetzt erstmal nicht zu reden. Das passiert aber später schon noch: Amerikaner in Mannheim, Greiz in der DDR. Zunächst aber kommt am 12.12.1953 ein kleiner Junge in einer Spontangeburt einer damals 33-Jährigen in den städtischen Krankenanstalten der Stadt Mannheim zur Welt. Dieses Krankenhaus wird später einmal zum Uniklinikum Mannheim, mit wechselvoller Geschichte, sowohl allgemein als auch für den Geborenen im Besonderen.


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