Schulzeit am alten Moll-Gymnasium (1964-1969)

Einschulung, neue Eindrücke und neue Freunde

Nach den Osterferien war also Einschulungstag am Moll für die Sextaner, wie die Fünftklässler damals im Gymnasium hiessen. Das Ganze fand in der Turnhalle statt, und es waren für meine Begriffe viel zu viele Menschen anwesend, was mich ziemlich eingeschüchtert hat. Klar, das waren damals 4 Klassen mit ca. 30 Schülern und noch die Eltern dazu. Da kommen locker an die 300 Menschen zusammen. Wir Schüler mussten vorne Platz nehmen, getrennt von den Eltern, ich kam mir ziemlich verlassen vor. Das einzige positive war, dass neben mir noch Karlheinz Frank und Franz-Josef Mayer aus meiner Grundschul-Klasse anwesend waren, die beide auch am Moll angemeldet waren. Alle anderen früheren Mitschüler waren an anderen Schulen/Gymnasien angemeldet.

Zunächst haben Chor und Orchester der Schule langweilige klassische Musik dargeboten, das hat mich damals tierisch angeödet. Dann wurden die Schüler für die erste Klasse, die VIa (Sexta a), mit Namen aufgerufen, und irgendwie hatte ich meinen Namen gehört und wollte wohl auch mit meinem alten Freund Karlheinz (Frank) in eine Klasse. Also ging ich mit zum Klassenzimmer der Klasse, welches sich in einer der damals provisorischen Baracken auf dem Hofgelände der Schule befand. Dort wurden alle Schüler nochmal aufgerufen und die Daten vom Klassenlehrer aufgenommen, allein – ich war nicht dabei! Da ich falsch und überflüssig war, wurde ich vom Lehrer zurück in die Halle gebracht, wo mir meine Eltern zugerufen haben, dass ich gerade für die Klasse d aufgerufen worden war. Irgendwie kam ich da noch hinterher und landete mit der Klasse oben im 3. Stock in einem Klassenzimmer mit Aussicht von oben auf die Röntgenstrasse Richtung Klinikum, welches damals noch Städtische Krankenanstalten hiess, und schliesslich am Fenster direkt neben Franz-Josef (Mayer), den ich ja auch noch von der Grundschule kannte. Wie ich aber schon ausgeführt habe, war die Beziehung zu ihm nicht so eng wie zu Karlheinz. Das war dann aber der Tag, an dem die Freundschaft zu Karlheinz Frank zerbrach, nicht im Streit oder weil wir uns böse waren, sondern schlicht und ergreifend, weil wir räumlich sehr weit getrennt waren und jeder ab jetzt andere Klassenkameraden hatte. So geht es manchmal im Leben!

Der neue Klassenlehrer war Hr. Heuser, er unterrichtete uns in Deutsch, eventuell auch Geschichte, das weiss ich nicht mehr so genau. Jetzt war ich richtig, wurde auch aufgerufen und hatte von da an ca. 30 neue Klassenkameraden. Ein paar waren auch dabei, die die Sexta schon einmal absolviert hatten und „von oben runter“ kamen, sprich nicht versetzt worden waren. Bei einigen von denen stellte sich später heraus, dass sie dem Gymnasium nicht gewachsen waren; entsprechend gingen sie nach und nach ab. Auf diese Weise wurde die Klasse im Laufe der Schuljahre immer kleiner, wenn auch immer wieder „von oben“ Neue kamen. Einige von denen waren dann im Laufe der Jahre durchaus interessante Wegbegleiter, nicht immer sagt die schulische Leistung etwas über die Fähigkeit aus, im späteren Leben erfolgreich zu bestehen. Und schliesslich waren wir dann einige wenige, die von der Sexta (5. Klasse, Klassenstufe VI) bis zur Oberprima (13. Klasse, Klassenstufe OI) zusammen blieben. Dieser Kern hat natürlich mit der Zeit ein besonders enges Verhältnis entwickelt, was nur beim Übergang in die Oberstufe von der UII (Untersekunda) zur OII (Obersekunda) empfindlich gestört wurde, als die Klassen für die letzten 3 Jahre bis zum Abitur mit unterschiedlichen Fachschwerpunkten neu zusammengestellt wurden.

Um mich herum sassen neben Franz-Josef noch ein Manfred und ein Gerhard Müller, Eckhard Ksionsek (Schonseck ausgesprochen), ein Oberschlesier, Rainer Haag, der später „verloren ging“ (sitzen blieb) und über den Gang Günter Urmann, Karl-Heinz Bartmann (wieder ein Karlheinz), Jörg Dubiel und Lutz Knakrügge, der seinen Namen ebenso wie Eckhard Ksionsek immer buchstabieren musste. Es war insbesondere immer lustig, wenn die neuen Lehrer nach Alphabet die Schüler aufriefen und beim Buchstaben K ungefähr 8-10 Schüler aufstanden. Dabei wurde „Johnny“ Ksionsek immer angemosert, es wäre doch jetzt „K“ dran und nicht „S“. Und jedes Mal musste er die polnisch-schlesische Aussprache seines Namens erklären, und Lutz den seinigen grundsätzlich buchstabieren. Relativ schnell hat sich eine gewisse Nähe zwischen mir und den letztgenannten Personen herauskristallisiert, während ich komischerweise die Freundschaft zu Franz-Josef nicht vertiefen konnte. Die Gründe sind unklar und auch hier nicht in Streit begründet, sondern vielleicht eher mit einer näheren geistigen Verwandtschaft zu den anderen. Die bekamen dann auch bald ihre Spitznamen, wie Johnny, Barti, Uri, Dübel/Dubi, Knaggi/Knaks, die teilweise sogar von den Lehrern lustigerweise verwendet wurden. Damals war es ja noch üblich, die jüngeren Schüler mit Nachnamen und „Du“ anzusprechen, erst in der Oberstufe wurde das „Sie“ verwendet. Ich wurde zu Emma, komischerweise weiblich. Zwar abgeleitet aus dem Namen Emmert, aber ein Phänomen, welches mich in meinem Leben immer wieder begleitet hat, dass man mir weibliche Eigenschaften zuschrieb. Das dürfte auch eines der grundlegenden Probleme bei meinem Umgang mit Mädchen gewesen sein, die mich damals wohl auch als zu wenig „männlich“ betrachtet haben. Noch heute – als über 60-Jähriger – muss ich mir von deutschen Frauen anhören „Du bist nicht mein Typ“, während ich bei slawischen Frauen – insbesondere meiner eigenen – sehr gut ankomme. Gelinde gesagt, stimmt da etwas nicht, was genau, kann ich bis heute nicht erklären.

Aber damals, die Sensation! Neben uns war die Klasse VIc, und dort waren tatsächlich 4 Mädchen drin, trotz damals noch üblicher getrennter Edukation von Jungen und Mädchen, was natürlich die „(Neu)Gier“ noch grösser machte. Hintergrund war, dass das Moll damals als erstes und einziges Mannheimer Gymnasium Russisch als 2. Fremdsprache anbot und sich deshalb auch für Mädchen öffnen musste. Eines dieser 4 Mädchen hatte tatsächlich einen deutsch-russischen Hintergrund und war in Sibirien geboren, hatte aber einen deutschen Namen. Die ganze tragische Geschichte der von Stalin nach dem Krieg nach Sibirien deportierten Deutsch-Russen habe ich dann erst viele, viele Jahre später erfahren und natürlich damals (1964) weder gewusst noch verstanden.

Ich glaube, damals hat die ganze Schule die Namen der vier gekannt, wobei sie natürlich ab einem gewissen Alter aufwärts auch wiederum uninteressant und nur „Gemüse“ waren. Aber unter den jüngeren Schülern der Sexta, Quinta und Quarta waren sie natürlich die Stars und hatten Spitznamen, die mit ihrem Auftreten und Äusseren zu tun hatten. Christine Eidemüller, die Deutsch-Russin, etwas despektierlich „Knollennase“ genannt, wegen ihrer etwas grossen Nase, war die älteste und eine ganz seriöse ruhige mit sprödem Charme. Sie hing immer zusammen mit der „Kleinen“, Eva-Maria-Holfert. Beide waren nach meiner Erinnerung aus der Gartenstadt, einem nördlichen Mannheimer Vorort, und kannten sich wahrscheinlich schon aus der Grundschule. Ich nehme an, dass Christine von zu Hause aus schon russisch sprach (wie heute meine Frau), aber das Schulfach Russisch begann als 2. Fremdsprache erst in der 7. Klasse (Quarta, Klassenstufe IV). Dann war da noch die stille „Schöne“ aus der Neckarstadt, Brigitte Hollweck, wie ich im Dezember 1953 geboren; in die war ich „verschossen“. Aber da war ich nicht allein. Sie hatte schöne braune Haare und tolle Beine, die sie mit kniefreien Röcken gerne zeigte. Der nach oben rutschende Rocksaum, dann langsam über das Knie, war ja ein Phänomen der Mode in den 60er Jahren und ermöglichte den Männern/Jungs zum ersten Mal einen Blick auf Frauen-/Mädchenbeine. Übertrieben hat es in dieser Hinsicht das 4. Mädchen, Karin Högner, die teilweise mit extrem kurzen Miniröcken ihre langen Beine zeigte. Sie hat allerdings nach ein paar Klassen die Schule wegen Umzug verlassen, so dass es nur drei später bis zum Abi geschafft haben, dann allerdings auch nicht die ersten Mädchen waren, die am Moll Abi gemacht haben (siehe dazu: Abiturienten 1969). Später kamen, wohl zunächst wegen Russisch, weitere Mädchen dazu, und prompt wurde die Anwesenheit von Mädchen dann auch eine ganz normale Sache, während sie anfangs von den Lehrern schon noch „behütet“ werden mussten. Ab dem Schuljahr 1969/70 brauchte es dann aber kein Russisch mehr als Begründung, um als Mädchen am Moll aufgenommen zu werden. Trotzdem war für mich noch bis zur Konfirmation (1968) Brigitte so eine Art entrückter Traum. Nahe konnte ich ihr leider nie kommen, ich glaube, sie hat viele Jungs routiniert abblitzen lassen, mit einem Freund habe ich sie allerdings auch nie gesehen. Später am neuen Moll war sie dann für mich uninteressant geworden und eine von vielen; da waren inzwischen andere viel interessanter und an ihre Stelle getreten. Aber irgendwann noch zu alten Mollzeiten wollten wir als 4-5 Jungs zu Fastnacht das umwerfend aussehende Cowgirl Brigitte aus der Fratrel-Str. entführen, sind dabei aber von der „Mattern-Bande“ überrascht worden und mussten eiligst die Flucht ergreifen…..

Neue Lehrer, neue Lernformate, neue (Tausch-)Medien

In der Grundschule hatten wir nur einen Lehrer, den Klassenlehrer und einen in Religion, das war’s. Jetzt im Gymnasium gab es für jedes Fach einen anderen Fachlehrer, der aber ggf. auch 2 oder 3 Fächer übernahm. Aber die Vielfalt der Lehrer mit ihren unterschiedlichen Charakteren war schon eine wesentliche Neuerung, die zu verkraften war. Die andere war, dass im Fach Deutsch auf einmal Lateinisch geredet wurde. Ein Hauptwort wurde zum Substantiv, ein Wiewort zum Adjektiv, ein Tuwort zum Verb. Das war erst mal ungewöhnlich und musste verinnerlicht werden. Hr. Heuser war ein guter Deutschlehrer, aber der bessere kam noch hinterher, Hr. Ganz ab der Quarta, und in der Oberstufe wurde es ganz super mit Hrn. Berger. Wenn ich also deutsch schreiben gelernt habe, dann habe ich das diesen 3 Herren zu verdanken und ihren Unterrichtskünsten. Ich denke, da ist einiges bei mir angekommen…..

In Mathematik hatten wir einen alten Deutsch-Rumänen als Lehrer, Hrn. Schaljo. Die Ruhe selbst und eine Seele von Mensch. Er war später auch für Physik und Chemie zuständig, aber schon kränklich, was in späteren Klassen Probleme verursacht hat. In Englisch hatten wir Hrn. Grassmann, späteres Wiedersehen eingeschlossen. Ein Jung-Dynamiker, aber sehr direkt und ehrlich, auch wenn es mich mal persönlich getroffen hat. Ich habe Respekt vor direkter Ehrlichkeit, pflege die auch selbst, es ist aber manchmal ziemlich anstrengend. Hr. Grassmann war selbst noch jung, fuhr einen VW Carmann Ghia und war erst Assessor. Er hat aber bereits Referendare betreut, meiner Ansicht nach gut, und brachte eines Tages Hrn. Klautke als Referendar mit. Der machte mit uns zu Weihnachten ein unvergessenes kleines Theaterspiel in Englisch über einen Frosch im Brunnen:

Fred the frog is in the well,

If you want him pull the bell.

Das war einfach super und unvergessen, und es sollte für mich im Leben noch 2 intensive Wiedersehen mit diesem Super-Lehrer geben, der aber zunächst ans Carl-Benz-Gymnasium nach Ladenburg berufen wurde, wo auch Hr. Kurt Ganz (Deutsch) seine ersten Berufsjahre verbracht hat.

Auf dem Nachhauseweg durch die Unterführung unter der Friedrich-Ebert-Str. in Richtung Eichendorff-Str. hat sich gezeigt, dass ein Junge mit mir den gleichen Weg ging, zumindest ein Stück, Karl-Heinz Bartmann, der 3. Karlheinz in meinem Leben. Da lag es natürlich nahe, dass wir uns einiges zu erzählen hatten und bald auch Freunde wurden. Franz-Josef, der einen anderen Heimweg hatte, war da bald vergessen. Sorry, aber so ist halt das Leben. Karl-Heinz und ich hatten uns viel zu sagen und viele gemeinsame Interessen. Es war der Anfang einer 5-jährigen intensiven Jungen-Freundschaft mit vielen Facetten und Ausläufern bis in die 60er-Lebensjahre, wenn auch mit 30 Jahren Blackout…..

Erst mal sassen wir ja nicht zusammen, ich sass neben Franz-Josef, Karl-Heinz neben Günter Urmann, kurz Uri. Der war schon 1964 gut unterwegs mit den sog. Panini-Bildern von Fussballern. Da wir zu Hause noch kein Fernsehen hatten, nur Radio, Zeitung (den Mannheimer Morgen) und den Stern, hatte ich damals noch nicht viel Ahnung über die junge Bundesliga und erst recht nicht über den internationalen Fussball. Da tauchten dann Namen auf wie Hamrin (Schweden) oder Puskas (Ungarn), sowie Haller, Szymaniak und Schnellinger, Deutsche, die in Italien spielten. Obwohl ich kein Geld hatte, kam ich trotzdem in den Besitz einiger dieser Bilder und konnte mit tauschen, ich weiss nicht mehr wieso. Eventuell begann es mit den Doppelten oder Dreifach-Bildern, die Uri dann anderen geschenkt hat, die ihm sympathisch waren; und anscheinend gehörte ich dazu. So lebte ich also in der Schule in zwei Gruppen: da wo ich sass, neben Franz-Josef, und davor Manfred Müller und Rainer Haag, dahinter Johnny Ksionsek und Gerhard Müller. Und über dem Gang Uri, Barti und Knaggi. Den vierten weiss ich nicht mehr, könnte Günter Kurth gewesen sein, ein Kölner. Wo Dubie sass, weiss ich nicht mehr. Karl-Heinz und ich gingen immer gemeinsam nach Hause und haben uns auch bald gegenseitig besucht, Hausaufgaben gemacht und anschliessend gespielt.

Schon sehr früh hatte Karl-Heinz eine Art Auto-Spielstadt aus Faller AMS Autos und Strassen, ich hingegen war noch der eingefleischte Modellbahner. In 1964 gab es in verschiedener Hinsicht dann noch weitere Neuerungen. Aber erst nach den grossen Sommerferien. Die lagen damals noch ziemlich komisch mitten im 1. Schul-Halbjahr, und natürlich waren wir wieder in Greiz in der DDR bei Oma; Opa war zu der Zeit schon tot.

Danach fanden im Herbst die Olympischen Spiele in Tokio statt, letztmalig mit einer gesamtdeutschen Mannschaft aus DDR und BRD. Vater brachte kurz vor der Olympiade einen alten Fernseher eines Kollegen mit, den er für 50 DM erstanden hatte. Natürlich schwarz-weiss und mit sehr kleinem Bild. Wir konnten 2 Programme empfangen, ARD und ZDF, die Antenne wurde auf dem Dachboden über unserer Wohnung montiert. Jeder der einen Fernseher hatte, hatte eine eigene, eine Gemeinschaftsantenne gab es noch nicht, also 10 Wohnungen, 10 Antennen! Die Olympischen Spiele in Tokio waren das erste Gross-Ereignis, welches ich im Fernsehen verfolgen konnte. Eingeprägt hat sich mir der 5000m-Lauf (18. Oktober 1964), in welchem Harald Norpoth hinter dem US-Amerikaner Bob Schul die Silbermedaille gewann, in 13:49,6 min. Der grosse Favorit Ron Clarke aus Australien wurde in 13:58,0 min nur 9. Es war das letzte Mal, dass eine gesamtdeutsche Mannschaft bei einer Olympiade antrat. Bis zu den Olympischen Spielen 1988 in Seoul traten dann jeweils 2 Mannschaften an, immer die DDR mit wesentlich besserer Medaillenausbeute, wahrscheinlich dank ihres Staatsdopingsystems, welches nie vollständig aufgeklärt wurde.

Zu Weihnachten gab es auf der Modelleisenbahn dann einige grosse Überraschungen. Bis dahin waren auf der eingleisigen Rundstrecke mit 2-gleisigem Bahnhof meine erste kleine Batterie-Lok, der Zweifach-Kuppler, und eine zweite Dampflok, eine BR24,  unterwegs. Die Batterielok fuhr mit einem speziellen Umschalt-Trafo, der 4,5 V= machte und die Fahrtrichtung durch Umpolen wechseln konnte, sowie einem einstellbaren Widerstand, mit dem die Geschwindigkeit geregelt wurde. Die BR24 fuhr mit einem richtigen Trix-Trafo mit 14 V Gleichstrom-Fahrspannung. Vater hatte sie nachträglich noch mit einer Tender-Beleuchtung und einem Dampfgenerator versehen, so dass sie vorbildgerecht qualmen konnte. Einige grosse Häuser auf der Platte hatte er auch selbst aus Pappkarton gebaut, mit Gries verputzt und Fenster und Türen von Faller eingesetzt. Mit Fertigbausätzen von Faller hatte er die restlichen Häuser der kleinen Siedlung gebaut, auch eine Kirche. Eine Shell-Tankstelle habe ich als 9- oder 10-Jähriger selbst gebaut. Die wurde auch in den kleinen Ort integriert. Zudem gab es ganz hinten vor dem Berg mit Tunnel eine Mühle mit beweglichem Mühlrad. Ja, die 60er waren Modellbahn-mässig richtig interessant.

Ja, und dann kam Weihnachten 1964, mein erstes Weihnachten im Gymnasium. Mein Zwischenzeugnis im November war vielversprechend und mein Wunsch nur klein. Ich wünschte mir ein Lichtsignal für 6,50 DM. Im Katalog waren viele tolle Sachen, aber ich wusste, dass wir nicht viel Geld hatten und verhielt mich entsprechend. Aber dann: als ich am Heiligabend ins Wohnzimmer mit der Eisenbahn rein durfte, gab es eine Riesen-Überraschung und etwas, was mich für mein Leben prägte. Allerdings muss ich feststellen, dass genau das etwa seit dem Jahr 2000 nicht mehr gilt; das Thema heisst Bescheidenheit. Ich bekam nicht nur das Lichtsignal sondern auch ein 3. Bahnhofsgleis, sowie eine V200 Diesellok mit 2 Eilzugwagen. Vater musste dazu sehr viel umbauen, das war viel Arbeit an den Abenden vor Weihnachten. Die kleine B-Dampflok aber hatte jetzt keinen Platz mehr auf dieser Anlage und wurde zunächst einmal in den Ruhestand geschickt. Die Begründung für die Überraschung war: weil Du so bescheiden warst, bekommst Du jetzt zur Belohnung viel mehr als Du Dir gewünscht hast. Wenn man das heute etwa den Managern der grossen internationalen Konzerne sagen würde, langen die sich menschenverachtend nur an den Kopf…..

Die V200 kostete damals 35 DM, das war für die Eltern viel Geld. Und trotz dieser Überraschung gab es natürlich im Katalog noch eine E10 (Schnellzug) oder E40 (Güterzug) oder gar die schwere E50. Aber die blieben ebenso wie die grossen Dampfloks BR01 und BR42 ein Traum und späteren Zeiten als erwachsener Mann vorbehalten…

Karl-Heinz, Hausmeister, neue Lehrer und Kurzschuljahre

Es dauerte nicht lange, bis Karl-Heinz und ich jeden Nachmittag zusammen hingen. Zuerst haben wir die Hausaufgaben gemacht und anschliessend gespielt. Dabei gab es verschiedene Möglichkeiten und alle waren für uns 10-12-jährige Jungs interessant. Ein ähnliches Muster habe ich viele Jahre später auch an meinem Sohn entdeckt. Da gab es einmal die Faller AMS-Autorennbahn, die aber zunächst nur ein Verkehrsspiel war, mit Kreuzung, Ampel, langsamen Strassenautos, wie Mercedes, Opel Diplomat und Tankwagen. Die Wandlung zur Slotcar-Rennbahn fand erst ein paar Jahre später statt. Die AMS-Bahn war bei Karl-Heinz, ebenso gab es dort im grossen Hof innerhalb des Quadrates zwischen Käfertalerstr. und Eichendorffstr. eine Tischtennisplatte. Aber auch für Briefmarken interessierten wir uns; damals war gerade die Dauerserie „Berühmte Deutsche“ aktuell. Dort gab es Marken auf dem alten weissen Papier, aber auch welche auf dem neuen fluoreszierenden Papier. Das haben wir mit einer UV-Lampe geprüft (siehe Foto „Berühmte Deutsche“), Wasserzeichen mit Waschbenzin. Und manchmal sind wir um die Quadrate gezogen und haben die verschiedenen Autos examiniert, vor allem, welche Spitzengeschwindigkeit auf den Tachos zu sehen war (120, 140 oder gar 160 km/h). Ein Topauto in dieser Hinsicht stand gegenüber unserem Wohnhaus in der Käfertalerstr. und gehörte dem Malermeister Schwind im Nachbarhaus, ein Borgward Hansa, später hatte er noch eine Isabella. Und vor der Bäckerei von Grimmingers standen immer tolle Opel, zunächst ein Kapitän, später ein Admiral, und in den 70ern dann ein Senator. Hr. Grimminger hatte wohl ein Faible für Opel-Fahrzeuge, und ein Mercedes, den er sich ohne weiteres hätte leisten können, war ihm zu protzig. Eben ein ganz normaler Mann, der nie abgehoben hat und zu recht später den Mannheimer Bloomaul-Orden bekommen hat.

In den ersten Klassen gab es dann für Karl-Heinz einmal ein ziemlich schlimmes Unglück. Beim Herumtoben auf dem Schulhof hat ihn ein anderer Schüler heftig von hinten gestossen, er ist vornüber gefallen und auf seine Hände, die er instinktiv zum Abstützen ausgefahren hatte. Ergebnis: beide Handwurzelknochen gebrochen und damit beide Hände in Gips. Möglicherweise war das in der Quarta (der 7. Klasse) und wir als Klasse bereits in einem anderen Klassenzimmer im Querverbindungsbau. Zudem sassen wir, glaube ich, da schon nebeneinander. Also konnte ich ihm helfen, die Bücher herauszuholen und aufzuschlagen und habe ihm auch die Schultasche nach Hause getragen. Schreiben konnte er natürlich nicht, aber trotzdem haben wir viel zusammen gelernt, so dass er nach 6 Wochen Gips einigermassen den Anschluss halten konnte.

Auf dem Heimweg haben wir öfter in der Unterführung unter der Friedrich-Ebert-Str. hinüber zur Eichendorff-Str. mit einem kleinen Plastikball Fussball gespielt, manchmal auch zu mehreren in irgendeiner Ecke des Schulhofes. Aber wehe der Hausmeister hat das mitbekommen. Hr. Werle war ein strenger, nicht sehr angenehmer, meckriger Zeitgenosse. Er hat nicht nur den Schülern die Bälle abgenommen, sondern auch mal meine Mutter angeblafft, die mir meine Sportsachen in die Schule hinterher gebracht hat, die ich zu Hause vergessen hatte. Da hatte der liebe Hr. Werle aber die Rechnung ohne meine resolute Mutter gemacht, die ihn zurück angeblafft hat…..

Auch zwei merkwürdige Lehrer hatten wir in den ersten beiden Klassen (Sexta und Quinta), eventuell auch noch in der Quarta: einmal Hrn. Scheufler. Der war teilweise unheimlich brutal und hat Schüler verprügelt, bis diese dann auch mal zurückgeschlagen haben. Danach gab es dann auch Diskussionen mit den Eltern. Auch ich war mal davon betroffen, aber nicht so schlimm. Der hat Schüler z.T. regelrecht gedemütigt und fast hingerichtet. Dieser Mann hat nicht an eine Schule gehört, sondern ins Gefängnis… Ein anderer Sonderling war ein gewisser Hr. Gebora, ein gebürtiger Rumänien-Deutscher, der durch übertriebene Freundlichkeit seine Aggressivität überdeckt hat, die dann manchmal doch hervor kam. Er hat Erdkunde gegeben. Sowohl Gebora als auch Scheufler waren mit oder nach der Quarta Geschichte. Mit Übergang in diese Klassenstufe, verliess uns auch Hr. Heuser als Klassenlehrer, für ihn kam Hr. Ganz, als Deutschlehrer und Klassenlehrer. Ein noch relativ junger, aber sehr patenter und engagierter Lehrer, mit gutem Unterricht und resoluter Klassenführung, damals erst Studien-Assessor, also die Stufe unter dem Studienrat.

Das war auch nötig, denn Mitte der 60er-Jahre gab es die sog. Kurzschuljahre, bei uns beginnend in der Quarta. Mit diesen beiden ca. 8 Monate langen Schuljahren ohne Halbjahres-Zeugnis wurde der Umstieg vom Schuljahresbeginn zu Ostern auf Anfang September nach den grossen Ferien vollzogen. Natürlich waren die beiden kurzen Schuljahre sehr kompakt und anspruchsvoll, entsprechend viele Sitzenbleiber gab es zu dieser Zeit. Bei uns war das die Quarta (IV) 1966 und die Untertertia (UIII) 1966/67. Zusätzlich hatten wir noch das Problem des alten Hrn. Schaljo, der genau in der Quarta krankheitsbedingt monatelang ausgefallen ist. Erst hatten wir eine Übergangslösung, ich habe sie „Oma Schmidtchen“ genannt, die uns aber überhaupt nicht weiter gebracht hat. Und genau in dieser Klasse stand erstmals Algebra auf dem Lehrplan. Zudem kam Französisch dazu, wo uns eine ältliche Fr. Kaiser auch mehr von ihrem Hund erzählt als Französisch beigebracht hat. In den beiden ersten Klassen hatte ich noch einen Preis bekommen, ein Buch. In der Quarta dann trotz der schlechten Randbedingungen auch nochmal. Bei Mathematik hatte man reagiert, und Hr. Manfred Becker hat die Klasse in diesem Fach übernommen, Physik wurde gar nicht unterrichtet, obwohl es, glaube ich, auf dem Plan gestanden hätte. Mit der Übernahme durch Hrn. Becker aber begann – zumindest für mich – ein grosses Kapitel in den Naturwissenschaften. Hr. Becker war in Folge bis zum Abitur mein grosser Mentor in Mathematik und Physik. Diese beiden Fächer – Physik ab November 1966 in der UIII – hat er glänzend miteinander verbunden, pädagogisch hervorragend unterrichtet und jeden, der es wollte, mitgenommen. Er hatte eine überragende Autorität, auch ohne Gezänk und Geschrei (siehe Negativ-Beispiel Scheufler) und hat sich dadurch bei nahezu jedem Schüler Respekt verschafft. Zudem war er auch noch ein Violinen-Virtuose, der als erster Geiger das Schulorchester massgeblich beeinflusst hat. Beim Übergang zur UIII zogen wir in ein einsames Zimmer im Wohlgelegen-Schulteil des Gebäudes um, ganz oben und weit ab von der Lehreraufsicht, in Nachbarschaft nur der Musiksaal und die Schulbibliothek. Zudem kamen einige „Sitzenbleiber“ der Kurzschuljahre hinzu, darunter ein gewisser Karl Leuthner, ein ganz prima Kerl. Der Druck der Kurzschuljahre hatte ihn einfach erwischt, aber auch später hat er nicht den Übergang in die Oberstufe geschafft. Ist aber trotzdem ganz ordentlich etwas geworden bei der Polizei, hat zunächst in der Klasse für Furore gesorgt und ist später im Leben meinem Sohn als Kollege und Mentor begegnet. Ja, so geht das manchmal. Wie schon vorher gesagt, nicht immer sagt die schulische Leistung etwas aus über den späteren Lebensweg; dafür habe ich noch mehr Beispiele, auf die ich noch eingehen werde, nicht zuletzt mich selbst…..

Der Englischlehrer der beiden frühen Klassen, Hr. Grassmann, gab inzwischen Erdkunde bei uns (Europa) und war im Fach Englisch durch die junge Fräulein Böhm abgelöst worden. Übrigens war es damals noch durchaus üblich, unverheiratete Frauen als Fräulein anzusprechen, z.T. wurde das regelrecht eingefordert. Sie war jung, sexy, mit kurzem Rock und Pumps, aber durchaus seriös und hat auch guten Englisch-Unterricht gegeben. Anders die ältliche Fräulein Kaiser, die wie gesagt, viel vom Hund erzählt hat und wenig Französisch. Immerhin hat es mir in den beiden Sprachen zur 2 gereicht, aber leider kam ich in Mathematik nur noch auf eine 3. Im Ergebnis gab das im Zeugnis zum Ende der beiden Kurzschuljahre im Sommer 1967 noch ein Lob. Klassenlehrer war nach wie vor Hr. Ganz, bei dem wir uns auch recht wohl fühlten. Ich glaube, nach seiner ersten Zeit am Carl-Benz-Gymnasium in Ladenburg waren wir die erste Klasse für ihn; das hat er einmal erzählt. Entsprechend engagiert war er, das hat man durchaus positiv gemerkt.

In der Obertertia (OIII) sind wir immer noch in diesem abgelegenen Zimmer geblieben. Ich glaube, seit der UIII hatten wir einen neuen Sportlehrer, Hrn. Pupp, einen sportlichen und energischen Mann. Ein paar ganz spezielle Momente mit ihm sind mir in Erinnerung geblieben, die haben z.T. auch mit Leuthner zu tun, der auch sehr sportlich war. Er bekam von Pupp verordnet, beim Fussball und Sitzfussball nicht voll zu schiessen, weil er einen tierisch harten Schuss hatte. Er spielte damals beim ASV Feudenheim in der Fussballmannschaft. Im damals noch vorhandenen Schulhof gab es einen Geländeteil mit (primitiven) Einrichtungen für den Sport. Dort haben wir Weitsprung, Hochsprung und Ballweitwurf gemacht. Einmal mit dem Handball, zum anderen mit dem kleinen Schlagball. Mit dem kam ich so 35-39m weit, die besseren schon mal über 50m, das war dann schon im Hof vor den Schulgebäuden. Aber was hat der Leuthner mal gemacht: mit einem Sonntagswurf schleuderte er den kleinen Ball über die Schulgebäude in den dahinter liegenden anderen Hof. Weiten-Messung unmöglich, Ball verschollen! Hr. Pupp hat ihm 75m aufgeschrieben, eine überragende Leistung, die nie mehr wiederholt wurde. Laufen konnte ich ganz gut, vor allem die 75m, aber durchaus auch etwas längere Strecken. Mit den anderen Klassen (a-d) haben wir manchmal eine Staffel gemacht, rund um das vordere Schulgelände (Dreieck), Staffelübergabe im Schulhof, 10 Schüler. Die 4 Mädchen waren davon ausgenommen. Und immer wieder lief es auf das Gleiche hinaus. Ich war der Schlussläufer der d), Hans-Jürgen Leiss, der enorm schnell und Sprint-talentiert war, der Schlussläufer der c), der Mädchenklasse, aber ohne Mädchen. Wir sind meist zusammen aus dem Schulhof raus, haben uns draussen unterhalten, die anderen weit hinter uns. Dann hat er sich verabschiedet, kurz und knackig angezogen und mich stehen lassen. Mir/uns blieb dann immer nur der 2. Platz. Auch schön, aber als junger Mensch willst Du gewinnen. Aber Leiss war faul und hat geraucht, insofern ist nie ein Sprinter aus ihm geworden. Und ich musste mir wieder das Gleiche anhören wie bei der Gitarre, als ich zur MTG gehen wollte und trainieren: dafür haben wir kein Geld…….

Und dann war da noch ein Perser, Firouz Madjoub, der in den mittleren Klassen zu uns kam, auch als Sitzenbleiber. Hochsprung hat man damals noch im Straddle-Stil gemacht, ich habe da so 110 bis vielleicht mal 130cm geschafft. Firouz ist aber 150cm im Stil eines „fliegenden Teppichs“ gesprungen, Hr. Pupp hat vor Entsetzen geschrien, wir anderen gelacht. Er ist nämlich gerade angelaufen, abgesprungen und hat die Füsse zur Hocke angezogen. Damit ist er wie ein fliegender Teppich über die Stange gerauscht, wider alle physikalischen Gesetze….

Und last, but not least, war es einmal in der Turnhalle beim Pferdsprung. Hr. Pupp hat Anlauf genommen, um uns etwas zu zeigen, springt ab, es gibt einen fürchterlichen Knall und er bleibt vor dem Pferd liegen. Beim Sprungversuch waren ihm beide Achillessehnen gerissen, er musste ins Krankenhaus und war über viele Wochen ausser Gefecht. Er kam aber an Krücken und hat uns unterrichtet, halt ohne Vorführung, aber mit Worten geleitet, vorbildlich!

Leuthner habe ich später nicht mehr in der Oberstufe des neuen Moll-Gymnasiums gesehen, ich kann mich nicht erinnern, ob er nochmal eine „Ehrenrunde“ gedreht hat oder abgegangen ist. Er hat später eines der später an die Schule gekommenen Mädchen geheiratet, Birgit Russler – aber ich weiss gar nicht, ob die beiden überhaupt ein Jahr gemeinsam auf dem Moll waren – und wurde viele Jahre später Senior-Kollege meines Sohnes in der Polizei-Ausbildung, ich glaube auf dem Revier in Neckarau. Wie sich manchmal die Wege im Leben kreuzen! Und noch ein anderer Klassenkollege aus den mittleren Gymnasiums-Jahren hat unseren Weg viel später erneut gekreuzt. Dabei war er zu Mollzeiten nicht gerade ein Freund von mir, hat mich gerne aufgezogen und beim Einsammeln des Beitrages für die Klassenkasse oft viele Monate hängen lassen: Dietmar Keinert. Auch er ging später nach der ersten Klasse im neuen Moll in der Oberstufe „verloren“. Aber in den 90er Jahren, als mein Sohn als Leistungssportler auf den Mittelstrecken zwischen 800 und 3000m in Süddeutschland unterwegs war, ist er auf einmal gegen einen jüngeren Konkurrenten gelaufen, der für sein Alter schon sehr gut war; und dessen Vater war – Dietmar Keinert, der mich auch sofort erkannt hat, sich als Erwachsener aber ganz anders verhalten hat, als der etwas schlitzohrige Schüler in den 60ern. Sohn Volker hat damals die Rennen trotzdem noch deutlich für sich entschieden, das war aber auch dem Alter und der dadurch grösseren Reife zu verdanken; eine späte kleine Genugtuung für die Familie Emmert, aber sportlich ganz fair…

Aber zurück in die 60er, und in die UIII (Untertertia), mit der im Sommer 1967 die Kurzschuljahre abgeschlossen waren. Bis dahin hatten wir noch keinen Chemie-Unterricht gehabt, also auch keine Note. Ich weiss nicht, ob das generell nicht geplant oder den Kurzschuljahren und kranken Lehrern geschuldet war. Denn ich erinnere mich, dass ich bereits Chemiebücher hatte und mir bis zu meinem 14. Geburtstag (also im Dez. 1967) bereits ein chemisches Grundwissen angeeignet hatte, ohne dass mich jemand gelehrt hätte. Denn für meine Eltern und alle in der Verwandtschaft waren das alles absolut „böhmische Dörfer“. Bereits im Laufe des Jahres 1967 machte ich einige kleine Versuche selbst, wie gesagt ohne Schulunterricht, und kaufte erste Chemikalien in den Drogerien und Apotheken des Viertels (Neckarstadt). Das ging damals alles noch problemlos, es war nichts überreguliert, Terroristen gab es noch nicht, und meist wollte ich sowieso nur harmlose Substanzen.

Im Herbst 1967 ist dann die nächste „Katastrophe“ passiert, meine Eltern haben mir eine moderne Steppjacke für den Winter gekauft, das Problem war nur die Farbe: dunkles rostrot, und – Brigitte hatte dieselbe! Das war natürlich eine maximale Blamage, ich war schon wieder als „Mädchen“ abgestempelt und vor meiner „Angebeteten“ blamiert. Ehrlich gesagt, weiss ich aber gar nicht, ob die das überhaupt registriert und „gejuckt“ hat. Aber zum Glück war sie katholisch, insofern war eine Begegnung im anstehenden Konfirmanden-Unterricht nicht zu erwarten. Zudem erlosch so allmählich meine „Flamme“ für sie….

In den Jahren oben im „Turmzimmer“ lag die Schüler-Bibliothek direkt neben unserem Klassenzimmer. Das weckte meine Neugier, da ich gerne gelesen habe. In dieser Zeit liegt auch mein Faible für Karl May begründet; viele seiner Bände habe ich mir dort ausgeliehen, aber durchaus auch anderes.

Le Mans, Einkaufsstadt, Stöckelschuhe, Fussball-WM und Adventsvierteiler

Aber erst nochmal zurück ins Jahr 1966. Ich glaube in diesem Jahr sind Bartmanns, also die Familie meines Freundes Karl-Heinz, von der Altbauwohnung in der Käfertalerstr. auf die andere Seite des Quadrates in eine Neubau-Wohnung in der Eichendorffstr. gezogen. Karl-Heinz bekam ein eigenes Zimmer, und die dort aufgebaute Faller-AMS Bahn immer mehr den Charakter einer Rennstrecke. Auch die Autos waren jetzt GT-Fahrzeuge, zunächst Porsche und Ferrari von Faller und ein Jaguar E. Später kamen noch andere dazu, von der amerikanischen Rennbahn Aurora, die mit der Faller Bahn kompatibel war. Die hatten natürlich amerikanische Rennwagen im Programm, wie den Ford Cobra, Karl-Heinz hatte einen. Aber im Jahr 1966 sorgten auf den Rennstrecken der Welt 2 andere amerikanische Rennwagen für Furore bei der Langstrecken-Weltmeisterschaft. Der Fort GT40 (Chris Amon/Bruce McLaren) gewann zum ersten Mal die legendären 24 Stunden von Le Mans, 3 weitere Siege in den folgenden Jahren sollten folgen. Und im gleichen Jahr gewann der innovative Chaparral (Joakim Bonnier/Phil Hill) aus einer privaten Autoschmiede in Texas die 1000 km auf dem Nürburgring. Erstmals war ein Rennwagen mit einem beweglichen Heckflügel unterwegs.

Mannheim hatte sich inzwischen zu einer beachtlichen Einkaufsstadt entwickelt. Der alte Kaufhausturm, der in den 50er Jahren noch stand, war abgerissen, und das Areal in N1 wurde für den Bau eines Stadthauses vorbereitet. Diskussion und Bau dauerten allerdings viele Jahre, so dass das Quadrat lange Zeit als Parkplatz benutzt wurde. Rund um den Paradeplatz aber waren neue „Einkaufstempel“ entstanden: in D1 das Bekleidungshaus C&A, das heute noch dort steht, in E1 das Kaufhaus Hansa, später Hertie (Blick vom Dach auf Planken und Paradeplatz) und in P1 das Kaufhaus Anker, später Kaufhof (Kleiderbügel). In K1 hatte Karstadt, wie bereits erwähnt, ein Haus eröffnet und in N7 war das Kaufhaus Vetter, später Horten. Neben den Versandhäusern von Otto und Neckermann waren die Kaufhäuser der Ort, um verschiedenste Dinge für den Haushalt, Kleidung, Hausgeräte und Spielsachen zu kaufen; für letztere gab es noch mehrere grosse Fachgeschäfte. Und natürlich hatten alle Kaufhäuser grosse Lebensmittelabteilungen, die all das anboten, was man sonst in verschiedenen Fachgeschäften gekauft hat, wie z.B. beim Bäcker, Metzger, oder Kolonialwaren, Milchprodukte und Fisch. Sie waren demnach auch die ersten, die den sog. Tante Emma-Läden die Kunden abspenstig gemacht haben, bis diese viele Jahre später ganz gestorben sind.

In den 60er Jahren trugen die Frauen Röcke und Kleider, die später immer kürzer wurden. Zu den langen Röcken wurden prinzipiell Pumps getragen, auch von älteren Mädchen und im Alltag auf der Strasse. Nur waren sie da etwas flacher, zu feierlichen Anlässen und Besuchen aber teilweise recht hoch. Vater hatte in den 60er Jahren unsere Wohnung in vielen Zimmern mit Stragula, der Billigversion von Linoleum, ausgelegt, um die blanken Holzdielen abzudecken. Ein paar billige Teppiche hatten wir auch, aber die reichten nicht aus, um alles abzudecken. Mutter hatte einige Cousinen, die mit ihren Familien auch in Westdeutschland lebten. Von einer der Töchter, Gabi, war sie sogar Patentante und zu deren Konfirmation in Bonn. Diese Familie von Tante Annemarie mitsamt den zwei Töchtern im Teenager-Alter war einmal zu dieser Zeit bei uns zu Besuch, als es das „allgemeine Gepumpse“ gab. Im Klartext: die Tante hatte Pumps an und die 2 grossen Töchter, die älter waren als ich, auch. Als sie weg waren, haben die Eltern an verschiedenen Stellen in der Wohnung Löcher im Stragula entdeckt, die durch die dünnen Stöckelabsätze verursacht worden waren. Darüber hatte sich im Vorfeld keiner gross Gedanken gemacht, und die Tante hat sich später per Brief vielmals entschuldigt. So schön die Pumps waren – ich habe sie immer gern gesehen und vermisse das heute an den Frauen (aber meine trägt noch welche), so angebracht wären zu dieser Zeit Besucher-Hausschuhe gewesen; aber die wiederum hat man erst später „erfunden“.

Im Sommer fand in England die Fussball-WM statt, das zweite Sport-Grossereignis, das ich im Fernsehen anschauen konnte. Im Wesentlichen wurden aber nur die Spiele der deutschen Mannschaft übertragen, von den anderen Spielen gab es kurze Berichte; alles noch in schwarz-weiss, das Farbfernsehen startete erst 1967, aber die Geräte waren unerschwinglich teuer. Bekanntlich endete das Endspiel zwischen England und Deutschland 4:2 nach Verlängerung durch das berühmte „Wembley-Tor“ von Geoff Hurst zum 3:2. Die damalige Fernsehtechnik konnte diese Szene nie auflösen, erst viele Jahre später wurde bewiesen, dass der Ball die Torlinie nicht in vollem Umfang überquert hatte. Die deutsche Nationalmannschaft aber wurde bei der Heimkehr wie ein Weltmeister gefeiert.

Erstmals zur Vorweihnachtszeit 1964 startete das ZDF etwas Neues, was sofort ein grosser Erfolg wurde: die sog. Adventsvierteiler nach grossen literarischen Vorlagen in einer Fernsehbearbeitung. Manchmal hat man sich mehr, manchmal weniger an die literarische Vorlage gehalten, aber der Erfolg – also die Zuschauerzahlen – waren überwältigend, weil diese Art von Fortsetzungsfilmen die ganze Familie am Fernseher vereinigt hat. Vielfach hat man dabei noch eine Erzählstimme eingesetzt, die Originaltext aus den jeweiligen Büchern vorgelesen hat, was für weitere Authentizität und Spannung gesorgt hat. An Robinson Crusoe (1964) und Don Quichote (1965) kann ich mich nicht mehr erinnern, die liefen auch bereits im Oktober. Aber die Schatzinsel 1966 hat mich voll in den Bann gezogen. Parallel zur Ausstrahlung zwischen 1. Weihnachtsfeiertag und Neujahr habe ich das zugehörige Buch von Robert Louis Stevenson gelesen und war fast immer auf der Höhe des Geschehens. Hauptdarsteller war der junge Michael Ande, Sprecher Helmuth Lange, der später im Adventsvierteiler von 1969 den Lederstrumpf spielte. Ich teile die Auffassung vieler Kritiker, die diesen 1966er Vierteiler als den besten bezeichnen, auch weil er sehr nahe an der berühmten literarischen Vorlage blieb. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Tante Linde hatte mir in jenem Jahr die 2 ersten Erzählungen des Lederstrumpf-Zyklus zu Geburtstag/Weihnachten geschickt, „Wildtöter“ und „Der letzte Mohikaner“ – übrigens mit Druckfehlern in der Erstausgabe (habe inzwischen korrigierte Exemplare, aber ohne Widmung von Tante). Der Vierteiler dazu sollte dann also 3 Jahre später über die Bildschirme flimmern.

Immer zu Weihnachten haben die Eltern von Lebkuchen-Schmidt in Nürnberg ein grosses Paket mit einem Lebkuchen-Sortiment bestellt. Teile davon wurden herausgenommen, mit anderen „feinen Sachen“ wie Zigarren, Kaffee, Orangen und Bananen ergänzt, und in der Vorweihnachtszeit an die Grosseltern, später nur noch Oma, in die DDR geschickt. Die hat im Gegenzug dann selbstgemachten Dresdner Stollen geschickt. Zu Weihnachten 1966 hat sie eine Erzgebirgler Weihnachtspyramide dazu gepackt, mit Nikolaus, Rehen und einem Haus, das mit Räucherkerzen rauchen konnte; die habe ich heute noch, über 50 Jahre später. Die verbliebenen Lebkuchen waren für uns zusammen mit dem Stollen eine besondere Leckerei zur Advents- und Weihnachtszeit; entsprechend zurückhaltend wurden sie gegessen, aber auch zum Nachmittags-Kaffee an meinem Geburtstag aufgetischt. Insbesondere die Dominosteine waren mir „heilig“, weil es nur 12 gab. Entsprechend entsetzt war ich, als ein Mädchen aus der erweiterten Familie davon gleich 3 verschlungen hat…..

Weihnachten 1967 hat mir Tante Linde wieder ein Buch geschickt, „Es endete am Nanga Parbat“, der übrigens damals noch zu Indien gehörte; heute liegt er in Pakistan. Die spannend erzählte Geschichte war schon ziemlich „erwachsen“ und thematisierte die Gesellschaft Indiens versus der in der damaligen DDR, speziell die Rolle der Frau. Die „Lebenskameradin“ in der DDR wurde dem „Besitztum des Mannes“ in Indien gegenüber gestellt (siehe Lesebeispiel im PDF). In puncto Gleichberechtigung war uns in den 60ern/70ern die DDR sicher ein Stück voraus. Aber was sollte ein damals 14-jähriger Junge damit anfangen, den sowieso kein Mädchen wollte? Gerade hatte im Nov. 1967 der Konfirmanden-Unterricht an der Melanchthon-Kirche begonnen, wo das interessanteste die Mädchen in meiner Gruppe waren. Aber auch hier war die Ignoranz fast schon schneidend…

Der Weihnachts-Vierteiler in diesem Jahr war „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“, in meinen Augen nicht so gelungen; aber ich konnte auch schon mit der literarischen Vorlage von Mark Twain nicht viel anfangen.

Und die Modelleisenbahn wurde ein letztes Mal erweitert: Das innere Bahnhofsgleis wurde verlängert; damit gab es auf 80% der Strecke Zweigleisigkeit. Zudem wurde daran noch ein Abstellgleis angeschlossen, was ein bisschen Fläche in der Siedlung gekostet, aber Platz für meine vielen Güterwagen geschaffen hat. Als letztes gab es noch ein Lichtsignal für die Gegenausfahrt auf dem 2. Bahnhofsgleis. Aber das war es dann auch schon; die Bahn hat so noch ca. 3 Jahre bestanden und wurde dann um 1969/70 abgebaut.

Vater hatte Mitte der 60er Jahre eine lange Kreislauf-Erkrankung. Er ist getorkelt und teilweise am Stock gegangen und war viele Monate zu Hause. Als er in den Beruf zurück ging, hat man ihn auf einen ruhigeren „Vorruhestandsjob“ ins Lager abgeschoben, weil er halt inzwischen ersetzt worden war. Aber er war dort gar nicht so unglücklich und hat eine EDV-Lagerverwaltung aufgebaut, damals noch mit Lochkarten.

Mit dem Übergang in die OIII im Sep. 1967, wie erwähnt immer noch in dem einsamen „Turmzimmer“, begann ein aufregendes Schuljahr, mit einem gewissen Dietmar Ossenberg als Schulsprecher, und kurz danach mit 1968 auch ein aufregendes Jahr generell, dem ich anschliessend weitere Kapitel widme. Mit Themen wie Konfirmation, erstes Fahrrad, eigenes Chemie-Lernen, Schul-Landheim im Allgäu, Studentenproteste, Prager Frühling, Jugendgruppe und erster Mondumrundung Weihnachten 1968.

Konfirmation, Fahrrad, grosse Sportler, Chemieversuche und Schul-Landheim

Wie schon erwähnt, ging im Oktober oder November 1967 der Konfirmanden-Unterricht für mich los, da ich im Dezember 14 wurde. Dafür wurde ich teilweise vom Nachmittags-Sport (Hr. Pupp) befreit und bin vom Sport direkt in den Konfirmanden-Unterricht gegangen. In meiner Gruppe waren auch die Mädchen, in der anderen Gruppe waren nur Jungs. Aber die Mädchen haben mich auch dort wieder nur ignoriert. Dabei war auch eine der Ingrids aus meinen Kindertagen, die Ingrid No. 2 (Lechler), die mit dem Kaufmanns-Laden. Jetzt war sie ein ansehnliches Teenager-Girl mit langen Beinen geworden und trug die zweitkürzesten Miniröcke in der Gruppe. Aber von mir wollte sie nicht mehr viel wissen, obwohl sie mich erkannt hatte. Die kürzesten Minikleider trug eine gewisse Dagmar, die aber völlig abgefahren war, ständig geschwätzt hat und unaufmerksam war, aber mit den älteren Jungs „rumgemacht“ hat. Die war schon mit 14 mit allen Wassern gewaschen….

Neben mir sass eine Waltraud, wieder eine „Knollennase“, aber soweit ganz o.K. Aber auch sie war so ein wenig steif und abweisend, andererseits auch wieder nicht. Wahrscheinlich habe ich es nicht verstanden und war zu blöd für Mädchen…..

Für chemische Zusammenhänge war ich aber anscheinend nicht zu blöd, ganz im Gegenteil. Meiner Meinung nach hätten wir eigentlich schon in der UIII (Untertertia) Chemie-Unterricht haben müssen. Ich glaube der fiel wg. langfristiger Erkrankung des Lehrers aus (wieder Hr. Schaljo). Dann in der OIII (Obertertia 1967/68) hatten wir endlich welchen. Meine Noten waren gut=2 (1.HJ) bzw. sehr gut=1 (2.HJ), siehe Zeugnisse Moll-Gymnasium. Endlich haben wir die ersten Versuche gemacht, üblicherweise beginnt man mit Schwefel, weil das eindrucksvoll ist und man dabei gleich viele Zusammenhänge erlernen kann. Allein, ich war schon wesentlich weiter und hatte bereits diverse Sulfide per heftiger exothermer Reaktion hergestellt. Draussen auf der Strasse, denn es war mir schon klar, dass man das nicht in der Wohnung machen konnte; ein gewisses Sicherheitsdenken hatte ich nämlich durchaus auch entwickelt und war immer sehr vorsichtig bei meinen Versuchen. Andererseits hatte ich aber schnell auch immer „Publikum“. Dieses Faible hatten sowohl meine Eltern als auch mein Bruder Klaus registriert und mich dann entsprechend zur Konfirmation Ostern 1968 (Palmsonntag) mit einem Chemiekasten von Kosmos überrascht.

Ein paar Wochen vor Ostern gab es das sog. Konfirmandengespräch, eine Art vorher abgesprochener Test vor der versammelten Kirchengemeinde. Trotz der vorherigen Absprachen war das bei der in anderen Welten schwebenden Dagmar schwierig, konfirmiert wurden wir aber trotzdem alle (Konfirmationsurkunde) und vom Fotografen in einem Gruppenbild verewigt.

Am Konfirmationstag (Palmsonntag, 1 Woche vor Ostern) fand ein feierlicher Gottesdienst statt, in welchem die Konfirmanden zum ersten Mal das Abendmahl einnehmen durften. Anschliessend hat man sich zum Mittagessen in einer Gaststätte getroffen. Vater hatte den „Bergsträsser Hof“ etwas weiter vorn in der Käfertalerstr. gebucht; parallel zu uns hat noch die Familie eines anderen Konfirmanden gespeist. Tante Hilde war von Streitau zu Besuch gekommen, Onkel Erwin hat damals noch gelebt und war auch dabei, und natürlich auch Klaus mit Familie. Zur Konfirmation habe ich von meinen Eltern ein Fahrrad, mein erstes Fahrrad, geschenkt bekommen. Das hatte ich bereits im Vorfeld zusammen mit Papa beim Fahrradhaus Pfaffenhuber am Marktplatz ausgesucht und ausgehändigt bekommen, ein Dreigang-Rad mit Rücktrittbremse für 168 DM. Es kam zusammen mit dem Fahrrad von Papa in unseren Schuppen im Hof des Mietshauses in der Käfertalerstr. 23. Die grösste Überraschung zur Feier aber war ein Kosmos Chemiekasten, der glaube ich, von Klaus kam. Nach dem Nachmittagskaffee, den wir nach dem Essen im Bergsträsser Hof zu Hause eingenommen hatten, wurde der Kasten ausgepackt, und es wurden die ersten Versuche gemacht, unter interessierter Anteilnahme von Klaus und Onkel Erwin, die mitgeholfen haben. Es ging wie ein Versuchs-Fieber durch die Familie. Z.B. haben wir ein Stück Würfelzucker verbrannt; das geht aber nur, wenn man vorher etwas Zigarettenasche darauf streut; letzteres hat Klaus beigesteuert. Schliesslich haben wir auch noch Tipp-Kick gespielt, ein Tischfussballspiel, welches mir auch Klaus schon einige Jahre vorher gekauft hatte. Er hat dabei auch sich selbst ein bisschen beschenkt und immer mit mir gespielt, wenn er zu Besuch kam, oder es sich auch mal ausgeliehen, wenn er selbst Besuch bekam. Auch mit Karl-Heinz hatte ich schon seit einigen Jahren begonnen, regelmässig Tipp-Kick-Spiele zu machen. Er, Klaus und ich hatten daher einige Übung in diesem Spiel und haben eine Art Liga gespielt. Und so klang eine unterhaltsame Konfirmation mit Chemieversuchen und Tischfussball aus; ich erinnere mich gerne daran. Nicht so lustig fand ich allerdings eine merkwürdige Schenk-Unart von damals gegenüber einem 14-jährigen Jugendlichen. Bereits direkt am Konfirmationstag bekam ich zwei (!) Reisewecker geschenkt (Tante Hilde, Rosel Voitel), mit der jeweiligen Anmerkung, das rechtzeitige Aufstehen sei ja jetzt für mich zunehmend wichtig als angehender Erwachsener. So ein Quatsch! Jeden Morgen kam meine Mutter gegen 6:30 – 6:45 Uhr in mein Zimmer und hat mich geweckt. Ein Wecker war völlig unnötig und absoluter Nonsens! Als eine Woche später die befreundete Familie Wehlage aus Grünstadt noch kam – die hatten am selben Tag mit ihrem Sohn Dieter auch Konfirmation und konnten nicht kommen – und den dritten (!) Reisewecker brachte, ist mir der Geduldsfaden gerissen. Ich habe einen Umtausch thematisiert – oh, oh, hochnotpeinlich damals, so etwas ging ja gar nicht, gegen ein Geschenk aufbegehren! Ich habe mich aber durchgesetzt und mir ein Buch gewünscht, was mich viel mehr interessiert hat: „Katscher: Das ist Physik“. Das war meine Themenwelt: Technik, Physik und Chemie. Aber das hat irgendwie keinen interessiert, Kinder hatten die Geschenke entgegen zu nehmen, die man ihnen mitgebracht hatte, und wenn sie noch so dämlich waren…..

Die zwei verbliebenen Reisewecker habe ich so gut wie nie gebraucht, einen habe ich wohl im Landheim mitgehabt. Aber daran sieht man, was sich da heute (durchaus positiv) verändert hat. Heute fragt man nach Interessen/Vorlieben oder schenkt gleich Geld/Gutscheine, so dass sich der Beschenkte selbst etwas aussuchen kann, was seinem Geschmack/Interesse entspricht; nicht den Müll, den man meint, für ihn aussuchen zu müssen. In dem Fall mal eine positive Entwicklung. Der Katscher, die Chemiebücher und der Chemiekasten haben mich noch lange erfolgreich begleitet, die doofen Reisewecker eher nicht…..

Die zwei neuen Dinge Fahrrad und Chemiekasten haben dann auch gleich neue Impulse gesetzt für Karl-Heinz und mich. Er hatte ein Peugeot Rennrad mit 10-Gangschaltung, ich halt „nur“ dieses 3-Gangrad, aber trotzdem haben wir Rennen gegeneinander gefahren, die auch schon mal ich gewinnen konnte. Unsere Rennstrecken waren am Herzogenried-Bad und dem gleichnamigen Park in der Neckarstadt. Auf dem Parkplatz vor dem Bad wurden die „Kurzstreckenrennen“ ausgetragen, 1 Runde mit stehendem Start war der Sprint. Aber auch 2, 5 und 10 Runden wurden absolviert. Die Zeiten haben wir mit der Stoppuhr von Karl-Heinz genommen, einer Hanhart Amigo. Für 10 Runden brauchten wir so um die 5 min, wenn ich mich richtig erinnere. Übrigens war zu dieser Zeit ein Radrennfahrer aus Mannheim bei den Profis auf Weltklasse-Niveau unterwegs, Rudi Altig. Er und sein Bruder Willi stammten auch aus der Neckarstadt. Rudi Altig hatte 1966 auf dem Nürburgring sogar die Weltmeisterschaft gewonnen und wurde im gleichen Jahr Sportler des Jahres. Mit seinem Bruder Willi war er in früheren Jahren viel auf der Bahn unterwegs und erfolgreich. Willi Altig hat später in der Neckarstadt ein Fahrradgeschäft eröffnet, welches heute (2019) noch in der Uhlandstr. 12 existiert, Rudi ist 2016 gestorben; aber er war unser grosses Vorbild. Die lange Strecke ging um das Bad und den Park aussen herum und hatte auch einen kleinen Anstieg/Rampe an der Hochuferstr. Für diese Strecke brauchten wir so um die 7:50 – 8:00 min. Einmal machten wir am Wochenende auch eine grosse Ausfahrt über Ladenburg in den Odenwald. Wir haben auf dem Weg dorthin u.a. Brücken gesehen, wo noch keine Strasse drüber führte und auch keine darunter war. Es handelte sich dabei um die Vorbereitungen zum Bau der neuen A5 von Heidelberg nordwärts die Bergstrasse entlang. Zeitweise sind Karl-Heinz und ich ganz schön gerast, z.B. die Strasse das Gorxheimer Tal hinab nach Weinheim, mit Geschwindigkeiten über 50 km/h, Karl-Heinz konnte das mit seinem Tacho messen – und das alles ohne Fahrradhelm. So etwas gab es damals noch nicht.

Und noch einen weiteren grossen Sportler aus der Neckarstadt gab es, den Tennisspieler Wilhelm Bungert, der 1967 im Wimbledon-Finale stand, dieses allerdings glatt gegen den Australier John Newcomb verlor (3:6, 1:6, 1:6).

Und auch die chemischen Versuche gingen in die nächste Stufe, unabhängig davon, was wir in der Schule gemacht haben. Da war ich viel weiter und hatte aus den Sulfid- und Verbrennungsversuchen sowie Säure-Base-Reaktionen bereits die chemische Formelsprache gelernt und konnte die Versuche stöchiometrisch korrekt ansetzen (mit 14 Jahren!). Nur beim exakten Wiegen haperte es noch, weil keine entsprechend genaue Waage zur Verfügung stand. Substanzen, bei denen ein gemeinsamer Kauf auf eine gefährliche Mischung hingedeutet hätte, z.B. Holzkohle, Schwefel und Kaliumnitrat für Schwarzpulver, habe ich in getrennten Drogerien und Apotheken im Quartier gekauft, so dass nicht erkennbar war, für was ich die Substanzen brauchte. Ein bisschen „schwindeln“ z.B. bei Holzkohle hat auch manchmal geholfen. Internet gab es ja noch nicht, andererseits hatte aber praktisch jede Drogerie oder Apotheke die meisten der begehrten Substanzen im Sortiment. Unfreiwillig und durch Zufall habe ich dabei auch die „unsichtbare Dauerstinkbombe“ entdeckt. Dieser Forscherzufall (das berühmte Glück des Tüchtigen) hat mir auch später ein paarmal zu grossen Erfolgen verholfen. Ich hatte inzwischen die Sulfid-Versuche über Eisen und Zink zu Magnesium und Aluminium ausgedehnt, später noch Antimon. Die Ergebnisse, also die Sulfide, habe ich immer nach Hause gebracht und in leeren Streichholzschachteln und kleinen Gläschen aufgehoben. Alle Sulfide rochen zunächst etwas verbrannt-schweflig, das hat sich aber spätestens nach ein paar Tagen gelegt. Aber nicht beim Aluminiumsulfid; das roch auch nicht verbrannt, sondern nach faulen Eiern, hat also H2S (Schwefelwasserstoff) gebildet. Ich habe es aus meinem Reagenzien-Schrank nach draussen auf das Blumenbrett vor dem Küchenfenster verbannt, in einem Glas mit Deckel. Und es hat immer noch hinter dem Fenster im Inneren gestunken! Entsprechend habe ich Ärger mit den Eltern bekommen und es draussen in den Hof geschüttet, wo es auch noch tagelang weiter gestunken hat. Also habe ich weiter recherchiert, in Büchern, denn Wikipedia gab es damals noch nicht…. Und schliesslich herausgefunden, dass zwar alle Sulfide bei der Reaktion mit einer Säure, wie z.B. Salzsäure, H2S bilden, aber gegenüber Wasser stabil sind. Nur Aluminiumsulfid (Al2S3) reagiert bereits mit Wasser und hydrolysiert zu Al(OH)3 und H2S, dazu reicht bereits die Luftfeuchtigkeit aus. Also ein wunderbares Mittel, ungeliebten Zeitgenossen eine Dauerstinkbombe vor die Tür zu platzieren, die man nicht einmal sieht, wenn man das Pulver nur fein genug verteilt……

Auf der Faller Rennbahn bei Karl-Heinz haben wir jetzt schon hochwertige Rennen gefahren, einmal einzeln Runden auf Zeit, mit seiner Stoppuhr gestoppt, zum anderen aber auch „Langstreckenrennen“ gegeneinander über z.B. eine halbe Stunde. Soviel ich weiss, hatten wir damals noch keinen Rundenzähler und haben das auf Vertrauensbasis gemacht. Zudem sind die Autos bei der langen Belastung heissgelaufen, so dass wir Ersatzautos brauchten. Jeder hat also 2 Autos bekommen, oder sogar 3. Karl-Heinz hat die Ferraris bevorzugt, ich die Porsche. Dazu hatten wir noch 2 Jaguar E, 1 Lola T70 und 1 Ford Cobra zur Verfügung.

Im Juni 1968 stand für unsere OIII d ein Landheim-Aufenthalt in Unterjoch im Allgäu an. Wir gingen mit keiner weiteren Klasse, nur unsere Klasse, die allerdings auch recht gross war, an die 30 Schüler. Unser junger, aber resoluter Klassenlehrer Hr. Ganz ging allerdings ein gewisses Risiko ein, indem er keinen zweiten Lehrer mitgenommen hat, sondern nur seine Frau, die uns unbekannt war, und daher natürlich keine Respektsperson. Zudem waren wir natürlich im schlimmsten Teenager-Alter zwischen 15 und 16. Entsprechend lief es nicht so ganz rund und reibungslos. Ich war mit Karl-Heinz, Johnny Ksionsek und Gerhard Müller auf einem Zimmer im Obergeschoss, in einem benachbarten Zimmer waren Lutz (Knaggi), Jörg Dubiel, Uri Urmann und Bernd Schwitzgebel von der Rheinau. Wir im Obergeschoss hatten das „Problem“, dass Hr. und Fr. Ganz auf unserem Stockwerk ihr Zimmer hatten. Entsprechend oft wurden wir in die Schranken gewiesen, z.B. wenn wir Tipp-Kick gespielt haben (Spielszene) und dabei ein bisschen laut waren, während unten im Tiefgeschoss teilweise der „Bär gesteppt hat“ und es niemand mitbekommen hat. Für die schöne Natur im Allgäu hatten Jungs im besagten Alter natürlich auch nicht so viel Interesse. Zwei Dinge sind mir aber in Erinnerung geblieben: einmal haben wir beim Wandern die grüne Grenze nach Österreich überquert (damals gab es noch keine EU und kein Schengen), und bei einem grösseren Ausflug mit unserem Bus waren wir in Schloss Linderhof, einem der 4 Prachtschlösser des bayerischen „Sonnenkönigs“ Ludwig II. Ganz bewusst bin ich mit dieser Erinnerung fast 50 Jahre später nochmal mit meiner Frau dorthin zurückgekehrt….

Interessant war auch der Radioempfang von Ö3 im Allgäu, die Österreichische Popwelle mit vielen aktuellen Hits der damaligen Zeit, die musikalisch geradezu explodierte. Die Hippiewelle eingeleitet hat dabei das bereits 1967 erschienene „San Francisco“ von Scott McKenzie, das 1968 so richtig durchstartete. Scott McKenzie ist inzwischen auch schon verstorben. Nach dem Landheimaufenthalt mit dem anscheinend für die ganze Klasse begeisternden Ö3-Musikprogramm startete in unserer Klasse eine Hitparade. Die Abstimmung wurde regelmässig von einem Schüler (Bernd Becker) durchgeführt und einmal sogar per Tonband im regulären Musikunterricht bei Hrn. Löb im Musiksaal aufgeführt. Ich weiss noch, dass bei dieser Gelegenheit „Massachusetts“ von den Bee Gees gewann, vor „San Francisco“, und dass uns Hr. Löb nach den Gründen für unsere Wahl befragt hat, wir ihm aber keine plausible Antwort geben konnten. Er hat sich aber im weiteren Verlauf als immer verständnisvollerer Musiklehrer erwiesen, der so nach und nach auch über seinen Schatten der klassischen Ausbildung springen konnte (siehe auch spätere Ereignisse).

Inzwischen hatte nicht nur die Hippie-Bewegung in den USA Fahrt aufgenommen, sondern auch eine Studenten-Protestbewegung, die sich 1968 auch in Deutschland manifestierte. Bei einer Demonstration in Berlin wurde im April 1968 der vorher aus der DDR geflüchtete Studentenwortführer Rudi Dutschke schwer verletzt, was in Folge zu einer Verhärtung der Fronten führte. Die Studentenproteste griffen bald auch auf weitere Teile der Gesellschaft über, auch auf Schulen, und führten zu einem tiefen Riss in der Gesellschaft von Nachkriegs-Deutschland, welches sich bis dahin noch nicht so richtig von den Verhaltensweisen Nazi-Deutschlands entfernt hatte. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs versuchten sich unterdessen umsichtige Politiker (Dubcek, Svoboda) in der Tschechoslowakei an einem Reform-Sozialismus, dem sog. Prager Frühling.

Das war die Gemengelage zum Ende des Schuljahres 1967/68, dem ersten wieder vollständigen nach den beiden Kurzschuljahren. Hr. Ganz teilte uns bei der Zeugnisausgabe im Juli 1968 noch mit, dass er höchstwahrscheinlich im nächsten Schuljahr nicht mehr unser Klassenlehrer sein würde, sich aber darum bemüht, dass er wenigstens weiterhin das Fach Deutsch bei uns unterrichten kann; genau das ist dann auch passiert. Währenddessen hatte sich an der Melanchthon-Kirche aus einigen der Konfirmanden eine Jugendgruppe gegründet, die sich jede Woche donnerstags getroffen hat, um ihren gemeinsamen Interessen nachzugehen. Allerdings wurden die durch den Leiter, Hrn. Böttcher, im Auftrag der Kirche natürlich sehr stark in Richtung christliche Aktivitäten gelenkt. Aber es war für uns genügend Raum, es wurde nichts indoktriniert, so dass wir uns in der Gemeinschaft recht wohl gefühlt haben, z.B. bei den vielen Diskussionen. Nur mit den Mädchen sah es mau aus; ich kann mich nur an eine Ellen erinnern. Es waren aber wohl schon noch ein paar andere dabei. So richtig durchgestartet sind wir jedoch erst Ostern 1969, als der nächste Jahrgang dazu gestossen ist, mit dann auch ordentlich vielen Mädchen.

Vor den grossen Ferien im Sommer 1968 gab es im Südwesten Deutschlands eine bis dahin in Deutschland selten beobachtete Wetter-Katastrophe, nämlich einen Tornado bei Pforzheim (10.07.1968), einen mächtigen F4. Im Jahr 2018, also 50 Jahre später, zeigt das SWR-Fernsehen diese historischen Dokumente. Die Verwüstungen habe ich selbst kurz nach dem Ereignis bei einem Ausflug vom Bus aus gesehen.

Besuch in der DDR im Jahr des Prager Frühlings

Wie jedes Jahr stand natürlich in den grossen Sommerferien wieder eine Reise in die DDR zu Oma an. Es sollte eine der letzten sein und in mancher Hinsicht denkwürdig.

Der Interzonenzug wurde diesmal in Hof von einer BR120 (V200) der Deutschen Reichsbahn abgeholt. Die schon früher vorgestellte Lok, von den Reichsbahnern wegen ihres lauten Lüftergeräusches „Taigatrommel“ genannt und im sowjetischen Woroschilowgrad (heute Lugansk) gebaut, ist eigentlich eine Güterzuglok, weil sie keine Zugheizung besitzt. Die war aber in der Sommerhitze nicht notwendig, und Klimaanlagen gab es in den Wagen auch noch nicht; man hat einfach das Fenster aufgemacht. Hr. Gottesmann, Oma’s Taxifahrer, hat uns diesmal mit einem Trabant abgeholt; zum ersten Mal bin ich da mit dem „Plastikbomber“ gefahren. Den Namen hat er bekommen, weil seine Karosserie überwiegend aus Kunststoff bestand. Das spätere Kultauto wurde von Sachsenring Zwickau gebaut und hatte einen Zweitakt-Motor. Es war ein Verkaufsrenner, und die Leute mussten teilweise von der Bestellung bis zur Lieferung bis zu 4 Jahre warten….

Seit Nov. 1964 war die sog. Mindestumtausch-Verordnung in Kraft. Die Eltern mussten also pro Person und Tag 5 DM west 1:1 in DM ost umtauschen. Das hat man gleichzeitig mit der Anmeldung gemacht. Man musste sich nämlich nach der Einreise bei der örtlichen Polizei/Meldebehörde anmelden und vor der Ausreise wieder abmelden. Dieser Zwangsumtausch zum für die DDR viel zu guten Kurs spülte Devisen in die Staatskasse, denn der offizielle Wechselkurs war lediglich 1:3. Ein paar Geldscheine hatte ich ja schon vorgestellt. Während die sich noch zum Teil sehr von ihren westdeutschen Gegenstücken unterschieden (10 Mark), hat die DDR beim Münzgeld stark auf Nachahmen bzw. gleiches Aussehen gesetzt. Besonders die viel benutzten 1-Markstücke sahen sich doch sehr ähnlich. Hier noch die beiden Münz-Sätze im Vergleich: DDR und BRD. Die DDR hatte keine 2-Pfennig-Münze, aber ein 20-Pfennig-Stück, welches es wiederum im Westen nicht gab.

In der Nähe der Polizeibehörde, wo die Anmeldung erfolgte, war auch der Greizer Bahnhof und die grosse Post. Dort konnte man die tollen und im Westen begehrten DDR-Briefmarken kaufen und hat gegen „Westgeld“ schon auch mal sog. Sperrwerte bekommen. Das waren Werte abseits der Frankierungen für Postkarte und Brief, die von der DDR-Postverwaltung künstlich verknappt wurden, um ihren Wert in die Höhe zu treiben. Auch damit hat man westliche Devisen eingenommen, um z.B. Kohle oder Öl auf dem Weltmarkt einzukaufen; dafür wurde nämlich die DDR-Mark als Zahlungsmittel nicht akzeptiert.

Bei Oma reift langsam die Idee, als Rentnerin in den Westen überzusiedeln. Das darf sie, soll aber vorher dem Staat die beiden Mietshäuser und die Glaserwerkstatt vermachen, sonst lässt man sie nicht ausreisen. Den Glaserbetrieb führt nach Opas Tod sein früherer Geselle, Hr. Tipmann, weiter, aber mehr schlecht als recht. Alles verfällt zusehends und um notwendige Reparaturen machen zu können, braucht Oma immer wieder die Kaffee- und Zigarettenwährung. Die politischen Unruhen im Westen hat man in der DDR durchaus wahrgenommen, schürt sie womöglich über diverse Kanäle sogar, um dem verhassten „Klassenfeind“ eins auszuwischen. Der Kontakt zu Hartmut Vorwieger, dem Freund aus der Lehrersfamilie flaute mehr und mehr ab. Er war auch nicht wie ich zur Konfirmation gegangen, sondern zur Jugendweihe, dem atheistischen Gegenstück der DDR, welches durchaus ideologisch aufgeladen war. Nicht zuletzt deshalb ging unsere Freundschaft dann so langsam zu Ende.

In der Nachbarschaft zur DDR sorgte inzwischen seit einiger Zeit der sog. Prager Frühling in der CSSR für Aufsehen und Hoffnung der Menschen. Die beiden politischen Führer Parteichef Dubcek und Staatspräsident Svoboda versuchten sich an einer Art „menschlichem Sozialismus“, sehr zum Ärger der Mächtigen in der Sowjetunion, die diesem Projekt am 21. Aug. 1968 durch Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes ein Ende setzten. Dies versetzte damals die Nato-Truppen im Bayerischen Wald entlang der Grenze zur CSSR in Alarmbereitschaft, da unklar war, wie sich die Situation weiter entwickeln würde. Und wir waren wieder einmal gerade dann in der DDR als es „kriselte“. Schon zum Bau der Berliner Mauer (13. Aug. 1961) waren wir drüben und jetzt wieder. Ganz einfach deshalb, weil diese Ereignisse im August stattfanden, was unser „Standard-Besuchsmonat“ bei den Grosseltern bzw. später Oma war. Das war eben durch die Schulferien in Baden-Württemberg vorgegeben. Wie wir später erfuhren, beteiligte sich die DDR nicht an dem Einmarsch, weil das an Hitlers Einmarsch 1939 erinnert hätte. Rumäniens Staatschef verurteilte den Einmarsch als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines sozialistischen Bruderstaates“, Albanien trat in Folge aus dem Warschauer Pakt sogar aus.

Einige Tage später fuhren wir nach Hause; ich erinnere mich nicht, ob das Ereignis von den Ostmedien (TV, Zeitung) überhaupt thematisiert wurde. Als wir in Reichenbach auf den Interzonenzug gewartet haben, kam, glaube ich, zum ersten Mal der Zug aus Dresden mit einer E-Lok, einer BR242, die aber in Reichenbach durch eine V180 ersetzt wurde. Die Strecke war demnach bis Reichenbach elektrifiziert worden, was ich in den Vorjahren und bei der Ankunft nicht realisiert hatte. Die Dampfloks waren also hier ersetzt worden, während sie hinter der Grenze im Westen ab Hof noch im Einsatz waren. Natürlich hat das die DDR-Reichsbahn in Werbefilmen propagandistisch ausgeschlachtet, von wegen, wie fortschrittlich der Sozialismus ist….

Während die Weiterfahrt über Plauen und die Grenzkontrolle in Gutenfürst unauffällig waren, kam die Überraschung in Hof, wo alle Weiterreisenden den Zug mitsamt Gepäck verlassen und durch eine Baracke gehen mussten. Auf einmal war es wie bei der Einreise in die DDR, Zoll- und Passkontrolle, und der Grenzschutz befragte uns (also den Vater), ob wir auffällige Truppenbewegungen auf unserer Reise beobachtet hätten. Hatten wir nicht, die DDR-Truppen waren ja nicht mit in die CSSR einmarschiert; aber es war eine gewisse Nervosität zu spüren. Dann sind wir wieder in unseren Teilzug eingestiegen und von einer BR01 gezogen bis Münchberg gefahren, wo wir von einem der Jungs von Tante Hilde abgeholt wurden. Dort war natürlich die Niederschlagung des Prager Frühlings Gesprächsthema.

Die weitere Heimreise nach Mannheim erfolgte dann wie immer am Sonntag, nach einem letzten gemeinsamen Mittagessen mit der Familie von Tante Hilde, welches in der anderen Metzgerei mit Gaststätte, bei Försters, eingenommen wurde. Da es eine der letzten derartigen Heimreisen war – nur 2 Mal ging es 1969 und 1970 noch mit dem Zug zurück – möchte ich noch etwas näher darauf eingehen, auch um aufzuzeigen, wie damals der Zugverkehr über lange Strecken organisiert war; auf jeden Fall ganz anders als heutzutage. Dabei hatte sich 1968 schon einiges gegenüber den Vorjahren geändert. Immer noch war man zwar mit Dampfloks zwischen Hof und Lichtenfels unterwegs. Hatte man dort aber früher einen Kurswagen angehängt und auf eine E10 E-Lok gewechselt, fuhr man 1968 schon mit mehr Wagen von Hof los, hatte also nicht so viele Anhängevorgänge von Kurswagen. Zudem blieb die Dampflok unter Fahrdraht am Zug bis Bamberg. Erst dort wurde beim Kopf machen eine V200 Diesellok mit einem Kurswagen angehängt. In Würzburg wurden weiterhin die beiden Kurswagen nach Wiesbaden an einen anderen Zug umgehängt. Der Rest fuhr wieder mit einer V200 Richtung Osterburken/Heidelberg weiter. Dort wurde auch keine E-Lok mehr angehängt, sondern der Zug fuhr unter Fahrdraht mit der Diesellok weiter Richtung Saarbrücken. Ein weiterer interessanter Aspekt ergab sich aus dem zwischen Hof und Bamberg nur um 10 min versetzten Zuglauf des hier beschriebenen „Frankenland“ und des nachfolgenden Interzonenzuges Dresden-Nürnberg (Abfahrt in Münchberg: Frankenland 13:15, Interzonenzug 13:25). In Lichtenfels hielten die Züge am gleichen Bahnsteig, es war also ein Umsteigen möglich. Ein letztes Mal noch in Bamberg, da war aber der Weg zwischen den Bahnsteigen länger, dafür fuhr der Frankenland nicht so schnell ab. Es war also theoretisch möglich, von Dresden bis nach Saarbrücken zu fahren, mit einem Umstieg in Lichtenfels oder Bamberg. Wenn man das allerdings verpasst hat, ist man festgesessen und kam am gleichen Tag nicht mehr weiter. Diese Art des Reisens sollte aber für mich in nicht allzu ferner Zeit zu Ende gehen, für nahezu ein halbes Jahrhundert dominierte dann das Auto. Ich glaube auch in dem Jahr hatte sich Abo, der Schwiegersohn von Tante Hilde, einen sportlichen Alfasud (Alfa Romeo) gekauft, mit dem er uns stolz von und zu den jeweiligen Bahnhöfen chauffierte.

Das letzte Schuljahr im Altbau, Olympische Spiele und erste Mondumrundung

Im September ging es dann wieder in der Schule weiter; das letzte Schuljahr im alten Schulgebäude stand bevor. Das war aber am Anfang des Schuljahres gar nicht so ganz klar, entsprechend auch gar kein Thema. Uns als Klasse hat es dann aus luftiger Höhe vom einsamen Zimmer ganz oben im anderen Bau ganz hinunter in den Keller des Gymnasium-Hauptgebäudes verschlagen; zudem noch mit einigen neuen Lehrern. Die haben wir durchaus kritisch gesehen, und sie sind auch heute im Rückblick einige Diskussionen wert, die aber im Abstand von 50 Jahren durchaus differenziert ausfallen. Die Sprachenlehrerinnen blieben; Frl. Böhm gewohnt souverän in Englisch. Aber die 3-fache Doktorin Frl. Meder war in Französisch ein grosses Problem. Sie kam mit der Klasse nicht zurecht, hat öfter mal einfach genervt den Unterricht verlassen und bekam für ihre komische Art auch von Direktor Kalbe keine Unterstützung. Insofern wussten wir natürlich, dass wir im Ernstfall nichts zu befürchten hatten, fatal! Denn gelernt haben wir herzlich wenig, einzelne Schüler bekamen für ihre miserablen Arbeiten auch schon mal eine 7 oder 8! Zur Erinnerung, die Notenskala endet bei 6 (=ungenügend). Sie hat das damit begründet, dass sie diese „Noten ausserhalb der Skala“ später mit anderen Leistungsnoten verrechnet! Na ja. Ich kam durch diesen Schlamassel ganz gut durch, bekam aber ein Jahr später die Quittung. Es kam vor, dass sie die Klasse – meist recht spät nach dem Klingelzeichen – betrat und sofort einzelne Schüler in die Ecke oder vor die Tür stellte oder anderswie kontrollieren wollte. Das ging dann so: „Frömter in die Ecke, Knakrügge vor die Tür, Losno ausspucken (den Kaugummi)“. Klar, dass sie niemand mehr ernst genommen hat.

Das pure Gegenteil von ihr waren zwei andere Lehrer, streng und konservativ (wir sind in 1968), aber doch wieder grundverschieden. Hr. Ganz hatte uns ja mitgeteilt, dass er nicht mehr Klassenlehrer bleiben würde, aber er hat Gott sei Dank weiter Deutsch unterrichtet, und das sehr gut. Aber als Klassenlehrer hatten wir jetzt Hrn. Eckhard Mag bekommen, damals Oberstudienrat. Er hat sich auf diesen Titel unheimlich viel eingebildet, hat immer damit unterschrieben, und war auch sonst in vieler Hinsicht seltsam und irgendwie ein „Gesamtkunstwerk“, aber eher ein unerfreuliches. Ich konnte die durch ihn verursachten Defizite einigermassen kompensieren, aber das gelang nicht jedem. Vor allem nicht jenen bedauernswerten Schülern, die er „auf dem Kieker“ hatte, wie Gerhard Müller und vor allem Lothar Weber. Er hat bei uns Biologie und Chemie unterrichtet, aber ich habe keine Ahnung mehr, warum es zu beiden Fächern im Halbjahreszeugnis im Feb. 1969 keine Noten gab. Möglicherweise war er krankheitsbedingt länger ausgefallen, so dass wir zu wenig Leistungsnachweise hatten. Wie gesagt, hat er einzelne Schüler regelrecht „gepiesackt“ und ins Sitzenbleiben hineinmanövriert. Wenn sein Blick ins Notenbuch ging und er darin blätterte, wussten wir immer schon, was jetzt kommt, nämlich „Weber“. Sein Unterricht war recht seltsam und nur rein theoretischer Frontalunterricht. Während das in Biologie noch halbwegs geht, ist das in Chemie ein Unding. Wir haben bei ihm nicht einen einzigen Versuch gemacht, obwohl wir, glaube ich, durchaus den Chemiesaal aufgesucht haben. Ich war bei ihm ein unauffälliger Schüler, andere hat es durchaus zurückgeworfen, bis hin zum Sitzenbleiben. Er ging mit an die neue Schule und soll dort fast 10 Jahre später einen Eklat verursacht haben, mit Biologie-Unterrichtsmaterial aus dem Fundus der NS-Zeit. Ein später sehr berühmter Mollschüler soll sich mit ihm angelegt haben, aber das war lange nach meiner Zeit, dazu kann ich also nichts sagen. Aber ich denke der „Weber“ und der versuchslose Chemieunterricht sagen schon alles über mein Jahr mit diesem Lehrer im Schuljahr 1968/69 aus.

Ja, und dann hatten wir noch einen anderen strengen Lehrer, der aber wieder ganz anders war, vor allem gerecht. Es war Hr. Hans Umstätter, gleichzeitig der stellvertretende Direktor. Ihn haben wir wie Hrn. Mag nur in diesem Jahr gehabt, richtig kennen gelernt haben ihn einige von uns erst später, und da muss ich sagen Chappeau. Aber auch sein Unterricht in unserer Klasse in Gemeinschaftskunde war o.K., seine Behandlung der Schüler korrekt; mein Freund Karl-Heinz Bartmann hatte ihn später noch bis ins Abitur und teilt diese Meinung. Der spätere Nahost-Korrespondent des ZDF, Dietmar Ossenberg nicht unbedingt. Dietmar Ossenberg war im Schuljahr 1967/68 Schulsprecher am Moll; laut seinen eigenen Erinnerungen ist er dabei gegen ein sog. „Kollektiv“ angetreten und hat als Vertreter der „Bürgerlichen“ nochmal gewonnen. Üblicherweise sind aber die Schulsprecher, die meist aus der UI kamen, im Jahr ihres Abiturs zurück- oder nicht mehr angetreten, um sich auf den Schul-Abschluss zu konzentrieren. Das war auch bei ihm der Fall. Sein Nachfolger wurde im Sep. 1968 Dietrich Glander, eben aus jenem linken Kollektiv der UIc, und prompt gingen einige Dinge in der Schülermitverwaltung (SMV), wie das damals hiess, schief; die Schule musste wohl sogar finanzielle Verpflichtungen übernehmen. Das Ganze klingt im Jahresbericht 1968/69 ziemlich kryptisch, und hat wohl hinter den Kulissen für viel Ärger gesorgt. Aber der wurde später in der neuen Schule sogar noch grösser. Dietmar Ossenberg hatte Hrn. Umstätter damals im Schuljahr 1968/69 als Klassenlehrer, als wir ihn in Gemeinschaftskunde hatten. Und offensichtlich hat sich seine Klasse mit vielen späteren Prominenten damals in intensive politische Diskussionen mit ihm verheddert; dafür waren wir wohl noch zu jung.

Seitens der eingangs erwähnten Mädchen hat sich dann in dem Jahr nochmal einiges getan. Erstens haben im Jahrgang von Ossenberg 2 Mädchen Abi gemacht, die ersten weiblichen Abiturientinnen am Moll. Aber das waren Quereinsteigerinnen, die in höheren Klassen eingetreten sind. Die Mädchen in unserem Jahrgang wurden durch drei weitere Mädchen nochmal aufgestockt, Birgit Russler, Elisabeth Galantai (eine geflüchtete Ungarin) und Vera Dovidenko (eine Russin mit ukrainischem Namen). Dafür hat aber im Gegenzug Karin Högner die Schule wegen Umzug verlassen; der Minirock hat also die Schule verlassen. Zwei der Mädchen, Christine Eidemüller und Eva-Maria Holfert sind aber schliesslich als letzte Neuerung zum evangelischen Religions-Unterricht zu uns ins Klassenzimmer gekommen und haben direkt vor Jörg Dubiel und mir Platz genommen. Sie waren beide sehr scheu, wohl wg. der vielen Jungs, haben sich später in der neuen Schule aber sehr verändert, ebenso wie Brigitte, die inzwischen ihren „Flammenstatus“ bei mir auch verloren hatte. Inzwischen waren aber in den Klassen unter uns viele weitere Mädchen an die Schule gekommen, bis 1969 noch ausschliesslich um Russisch zu lernen. Ab Sommer 1969 mit dem Übergang auf das neue Schulgebäude im Niederfeld fiel aber diese Beschränkung weg, und es gab auch am Moll die volle Co-Edukation. Im Herbst (12.-27.10.1968) fanden die nächsten Olympischen (Sommer-)Spiele statt, in Mexico City, auf 2300m Höhe. Es gab dabei einige Besonderheiten, z.B. erstmals 2 getrennte deutsche Mannschaften, einen Eklat um die „Black Power“ Bewegung, aber vor allem die grosse Höhe, die sich sehr unterschiedlich auf die Leistungen auswirkte. Die weniger dichte Luft begünstigte Rekordleistungen bei Schnellkraft-Wettbewerben (wie z.B. Weitsprung) oder auf den Sprintstrecken, wo es nicht auf die Sauerstoffversorgung ankommt. Das galt grob bis zu den 400m, darüber, ab etwa 800m (gleiches Niveau), und vor allem ab 1500m aufwärts, auf den Ausdauerstrecken, gab es eine Sauerstoffunterversorgung und damit deutliche Leistungseinbrüche. Das Schwierige für die Athleten war, sich darauf einzustellen und den Leistungsabruf zu dosieren, sonst drohte der totale Einbruch. 2 Jahre später fand in Mexico die Fussball-Weltmeisterschaft unter teilweise ähnlichen Bedingungen statt, zumindest, wenn die Stadien hoch lagen. Bei der Siegerehrung der 200m-Sprinter demonstrierten die beiden erst- und drittplazierten Amerikaner mit der hochgereckten Faust für die „Black Power“ Bewegung. Da politische Zeichen bei den Olympischen Spielen verboten sind, mussten sie anschliessend sofort abreisen, konnten also z.B. nicht an der Sprintstaffel teilnehmen. Bob Beamon sprang in der dünnen Luft von Mexico City im Weitsprung einen Fabelweltrekord von 8,90m, der 23 Jahre Bestand hatte, und über 1500m gab es ein brisantes Duell zwischen dem Weltrekordler Jim Ryun (USA) und dem Kenianer Kipchoge Keino, und einen Kampf um die Bronzemedaille zwischen den beiden (West-)Deutschen Bodo Tümmler, der 1500m-Spezialist war, und Harald Norpoth, dem 5000m-Silbermedaillengewinner von Tokio, für den das die Unterdistanz war. Und es gab die Niederlage für den unbesiegbar gehaltenen Ryan durch den Kenianer, der trotz Gallensteinbeschwerden gewann, und tatsächlich den Kampf der beiden Deutschen um die Bronzemedaille, den Bodo Tümmler für sich entschied (1500m Mexico City 1968). Es wurden bei diesen Olympischen Spielen insgesamt 17 neue Leichtathletik Weltrekorde aufgestellt, alle in den Disziplinen, die von der dünnen Luft profitierten.

Inzwischen war auch der erste alte, kleine Fernseher bei uns durch ein neues Philips-Gerät ersetzt worden, welches ein grösseres und schärferes Bild sowie einiges mehr an Bedienungskomfort hatte. Deshalb war ich dann zu dieser Zeit auch etwas mehr am TV-Gerät zu finden, vor allem weil mich einige Sendungen und Serien sehr interessierten. Das war zum einen die amerikanische Science Fiction Serie „Raumschiff Enterprise“ (Star Trek) und die Sendungen mit Prof. Heinz Haber, der in der ARD naturwissenschaftliche Themen allgemeinverständlich erklärte. Interessant dabei war, dass er gebürtiger Mannheimer war (Elternhaus in der Bassermann-Str.); sein Bruder hatte noch lange Zeit einen Laden für Mineralien und Schmucksteine in einer Passage der Planken, wo auch ich öfter eingekauft habe. Er hat mich durch seine Sendungen auch in meinem Weg bestärkt, in die Naturwissenschaften zu gehen. Das konnte ich ihm in den 80er Jahren nach einem Vortrag in der Hockenheimer Stadthalle auch noch persönlich sagen. Der schon hochbetagte Mann stellte damals in seinem Vortrag die Entstehungsgeschichte der Erde anhand des Ablaufes eines Jahres dar. Ein interessanter Teilaspekt dabei ist, dass der Mensch bildlich dargestellt erst am Silvestertag um 5 min vor Mitternacht auftaucht! Seinen Nachlass hat Heinz Haber übrigens dem Mannheimer Stadtarchiv MArchivum vermacht.

Zu der Zeit startete auch im Südwestfunk, 3. Programm, die erste Jugendwelle, der „Pop Shop“ mit Pop- und Rockmusik der damaligen Zeit. Als Kult-Moderator war damals u.a. Frank Laufenberg dabei. Jeden Sonntag gab es eine Hitparade, zu der man per Postkarte abstimmen konnte. Samstags lief auf RTL die LP-Hitparade mit Camillo Felgen oder Frank Elstner. Das Problem mit RTL war, dass das Programm auf Kurzwelle ausgestrahlt wurde und es daher Störungen durch Lautstärkeschwankungen und Pfeifen gab, was Kassettenaufnahmen deutlich erschwerte. Das war beim auf UKW ausgestrahlten Pop Shop deutlich besser. Irgendwie hatte ich nämlich nach der Konfirmation auch noch einen Loewe-Opta Kassettenrekorder bekommen, genaueres weiss ich nicht mehr. Die meisten anderen Teenager hatten das entsprechende Philips-Gerät mit dem 2-dimensionalen Kombischalter; das Loewe-Gerät hatte einfache Tasten und war etwas robuster und hochwertiger. Endlich hatte ich auch mal etwas Besseres als die anderen! Wir haben mit diesen Geräten über die sog. DIN-Diodenkabel (5-polig) vom Radio aufgenommen und auch wiedergegeben, oder auch von Gerät zu Gerät überspielt, wobei natürlich das Rauschen mit jedem Überspielen mehr zunahm; denn wir sind noch in analogen Zeiten!

Und genau zum Weihnachtsfest gab es die nächste grosse Sensation. Seitdem John F. Kennedy Anfang der 60er-Jahre das Ziel ausgegeben hatte, dass die Amerikaner die ersten Menschen auf den Mond schicken würden, wurde dieses Ziel von der NASA zunächst mit dem Gemini-, später mit dem Apollo-Programm hartnäckig verfolgt, obwohl es auch tragische Rückschläge gab. So verbrannten 3 Apollo-Astronauten bei einem Test am Boden, woraus man lernte, die reine Sauerstoff-Atmosphäre an Bord durch ein der normalen Atemluft ähnliches Gemisch zu ersetzen. Nachdem dann erste kurze Testflüge der 3-stufigen Saturn-Rakete in der Erdumlaufbahn erfolgreich verliefen, startete kurz vor Weihnachten (21. Dez.) 1968 Apollo 8 zum ersten Mal Richtung Mond, um diesen zu umrunden. Das Ab- und Andocken der Mondfähre übte danach Apollo 9 wieder in der Erdumlaufbahn, bevor Apollo 10 diese Manöver in der Mondumlaufbahn übte, ohne allerding zu landen, was schliesslich Apollo 11 vorbehalten blieb. Apollo 8 startete also kurz vor Weihnachten und umrundete den Mond genau am Heiligen Abend 1968. Ich weiss noch, wie im Radio übertragen wurde und Mutter gebügelt hat, während auf dem Gasherd das Gänseklein geköchelt hat und Vater noch den halben Tag in der Fabrik gearbeitet hat. Vielleicht mal kurz innehalten und überlegen, wie das heute ist… Die Besatzung waren Bormann (Kapitän), Lovell (Co-Kapitän, Mondfähren-Pilot) und Anders (Co-Pilot, Kapsel-Pilot). Frank Bormann war bereits geflogen und sehr erfahren, Jim Lovell rückte als Ersatzmann für Collins nach, der später bei der ersten Mondlandung als Kapsel-Pilot mit dabei war; Lovell war knapp 1,5 Jahre später Kapitän und Held der dramatischen Apollo 13 Mission. Co-Pilot William Anders schoss mit einer (analogen) Hasselblad-Kamera auf der 4. von 10 Mondumrundungen das heute berühmte Earthrise-Bild, welches die über dem Mondhorizont aufgehende Erde zeigt. Die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester nutzte ich in diesem Jahr schon intensiv, um einerseits Feuerwerk einzukaufen, aber auch schon, um entsprechende eigene Versuche anzustellen. Das blieb in diesem Jahr noch im Rahmen, auch weiss ich nicht mehr, wie genau ich die Feuerwerkskörper gekauft habe. Auch wenn meines Wissens die Verkaufsgrenze damals noch 16 Jahre war; ich war aber erst 15! In den nächsten Jahren bekamen jedenfalls die „Feuerwerkerei“ und auch allgemein die Chemieversuche einen deutlichen Schub, was dann auch mit dem entsprechenden Lehrerwechsel in die Oberstufe einher ging. Der OStR Mag jedenfalls konnte mir nichts beibringen, was ich nicht schon gewusst hätte; wie erwähnt, gab es im ersten Halbjahr nicht einmal eine Note.

Spaghetti-Eis, Prominenten-Abi, Mondlandung, Woodstock

Im ersten Halbjahr 1969 bereiteten die Amerikaner durch weitere Apollo-Missionen (9 und 10) die Mondlandung vor, und meine Schulzeit am alten Moll in der Neckarstadt ging langsam auf die Zielgerade. Im Quadrat gegenüber unserer Wohnung war eine neue Familie eingezogen, die Langs. Warum das interessant ist? Nun, weil sie eine Tochter hatten, die Edeltraud, die mir gefallen hat, und für die ich mich interessiert, aber keinen Weg gefunden habe, Kontakt aufzunehmen. Unsere Jugendgruppe kam immer besser in Schwung; ich gehörte zu denen, die die Inhalte der Treffen mit anderen immer bei Hrn. Böttcher, dem Leiter, vorbereitet haben. Da war auch Wolfgang dabei, Wolfgang Warnecke, der sich super mit Musik auskannte, viele Platten hatte, und auch sonst viele Interessen mit mir gemeinsam. Wolfgang, Karl-Heinz und ich waren auch alle 3 an Tischtennis interessiert, so dass wir das dann auch zu dritt ausserhalb der Jugendgruppe gemacht haben; Karl-Heinz war katholisch und insofern in der evangelischen Jugendgruppe nicht dabei; das sollte sich aber bald ändern.

Im April 1969, um Ostern herum, wurde in Mannheim von dem jungen Italiener Dario Fontanella das Spaghetti-Eis erfunden und trat den Siegeszug um die Welt an. Er blieb Mannheim als erfolgreicher Geschäftsmann treu und betreibt inzwischen mehrere Eiscafes in der Innenstadt. Nach Ostern kam auch der nächste Jahrgang Konfirmanden zu unserer Jugendgruppe dazu, und welche Freude – Edeltraud war auch dabei. Sie war ein hübsches und aufgeschlossenes Mädchen und hat sich auch schnell in die Vorbereitung der Treffen mit eingebracht. Aber weiter wie bis zur Freundschaft hat es wieder nicht gereicht, und nach einem Vierteljahr war sie die Freundin von Wolfgang, dem die Herzen der Mädchen nur so zuflogen. Laut seinen eigenen Erinnerungen war es ein Gruppenausflug auf den Dilsberg, bei dem sich die beiden näher kamen. Allein, es hielt nicht lange, dann war Monika seine neue Freundin – oder war die vorher? Heute als alter Mann darauf angesprochen, warum er denn so viel Erfolg bei den Mädchen hatte und andere (z.B. ich) nicht, hat er keine plausible Erklärung dafür. Es gibt ja die sog. Pheromone, Geruchsstoffe, die normal gar nicht wahrzunehmen sind, und die eine gegenseitige Attraktivität oder umgekehrt auch Ablehnung im Unterbewusstsein erzeugen. Daher rührt auch der Spruch „ich kann Dich nicht riechen“. Ich hatte wohl die falschen Pheromone und immer das Nachsehen. Nicht schön für einen heranwachsenden jungen Mann, der wahrnehmen muss – und das war ganz deutlich – dass ihn das andere Geschlecht nicht mochte. Nicht böse, nicht feindselig, alle waren mit mir befreundet, aber zum miteinander gehen hat es eben nie gereicht, wie z.B. auch bei Marlies, die auch mit den Neuen gekommen war. Ein langbeiniges Girlie mit Minikleidern, die mir später auch einen Korb gab, und ausrichten liess, dass sie sich zu jung fühlt für einen Freund…..

Durch irgendwelche Diskussionen kamen wir auch darauf, dienstags in Ergänzung zu unserem Gruppenabend am Donnerstag unter der Melanchthon-Kirche Tischtennis zu spielen. Als Karl-Heinz das gehört hat, wollte er auch dabei sein. Das wurde ihm erlaubt, obwohl er katholisch und kein Gemeindemitglied war. Ein erster kleiner Schritt von Ökumene; das war damals überhaupt nicht selbstverständlich. Karl-Heinz hat dann dort seine Jugendliebe Anette kennengelernt, die auch eine von den „Neuen“ war. Überhaupt schien diese nachfolgende Gruppe von Konfirmanden nahezu nur aus Mädchen zu bestehen. Jedenfalls kamen die zu uns dazu und machten dadurch die Jugendgruppe noch viel interessanter. Das war zu der Zeit neben der Offenheit für den katholischen Jungen auch ein mutiger Schritt von Pfarrer Rosenkranz, denn wie erwähnt, gab es in den Schulen damals noch bis 1969 die Trennung in Jungen- und Mädchen-Schulen; die Co-Edukation wurde gerade eingeführt. Auch wenn es für mich eher traurig war, weil mich kein Mädchen wollte, war es doch eine schöne Erfahrung, die Jugend in der gemischten Gruppe zu erleben und nicht erst später auf „Brautschau“ zu gehen. Unter sozialen Aspekten hat die Ökumene und die Co-Edukation die Gesellschaft vorangebracht. Es war ja überhaupt die Zeit der Umbrüche und Veränderungen; die 68er-Revolution war noch im vollen Gang, hat allerdings später auch Fehlentwicklungen hervorgebracht, wie im kleinen noch am neuen Moll zu sehen sein wird, und im grossen die Zeit des RAF-Terrors in den 70ern war.

Allerdings war das Ergebnis der breiten Ablehnung durch Mädchen bei mir ein gewisser Rückzug in mich selbst und meine Naturwissenschaften. Und immer hatte ich was zu „zünden“ dabei, wenn wir uns getroffen haben. Da hatte ich dann auch mal kurz die Hauptrolle, bevor bei der nächsten Party die Mädchen wieder mit den anderen Jungs geknutscht haben. Im Rückblick würde ich sagen, habe ich dann wohl aus Trotz so ein gewisses „Freak-Gehabe“ entwickelt. Dadurch hatte ich aber eher noch mehr Freunde – aber eben keine Freundin, und habe nebenbei meine Chemie-Kenntnisse auf ein Niveau gehoben, wo mir keiner der anderen Jugendlichen mehr folgen konnte, und auch Lehrer mir nichts Neues mehr erzählen konnten. Im Prinzip habe ich schon in der Untersekunda (U II, 10.) begonnen, Chemie zu studieren. Das Mädchen-Drama hat dann in den 70ern noch filmreife Züge angenommen, und im Endergebnis waren wohl auch später 2 gescheiterte Ehen das Resultat. Aber auch die in der Jugend wesentlich „erfolgreicheren“ Wolfgang und Karl-Heinz hatten in dieser Hinsicht nicht mehr Glück, und es ist statistisch erwiesen, dass unsere Generation sehr viele Scheidungen durchgemacht hat. In meinem Umfeld und auch bei mir selbst erlebe ich allerdings aktuell „das späte Glück“ im fortgeschrittenen Alter. Vielleicht mit einer gewissen Ermüdung, aber auch Erfahrung, um sich doch noch einmal auf etwas Neues einzulassen. Die Rahmenbedingungen, die der Staat dafür schafft (Ehegesetze), sind einem glücklichen Familienleben eher abträglich; im Gegenteil, der Egoismus wird immer grösser. Eine Diskussion der grossen Staatsmodelle wird an anderer Stelle, nach dem Mauerfall, zu diskutieren sein; nur so viel dazu, die (sozialistische) DDR war ein grosses „Scheidungsland“, siehe u.a. auch Merkel….

Im Mai 1969 wurde der neue Dreiecks-Bahnhof in Ludwigshafen eröffnet, zufällig waren da auch Tante Hilde und Onkel Erwin bei uns zu Besuch. Es war das letzte Mal, dass ich den Onkel sah, denn er verstarb kurz danach.

Der Wettlauf der Amerikaner mit den Russen zum Mond fand am 20. Juli 1969 einen erfolgreichen Abschluss, als die Astronauten Armstrong und Aldrin als erste Menschen den Mond betraten (Apollo 11). Wir verfolgten die Übertragung wie viele Millionen Menschen weltweit auch am (s/w-)Fernseher.

Ein paar Tage später ging das letzte Schuljahr am alten Moll-Gymnasium für die meisten von uns zu Ende. Ein letzter Jahrgang hatte ein paar Wochen zuvor die letzte Abiturprüfung am alten Standort abgelegt. Es war ein „besonderer Jahrgang“, zunächst wegen der beiden ersten Mädchen, die am Moll Abi machten, aber wie schon vorher erwähnt, waren das Quereinsteigerinnen, die erst in höheren Klassen dazu gekommen waren. Und weiter hatte dieser Jahrgang eine „hohe Dichte“ an späteren Prominenten aufzuweisen. Dazu gehörte der schon erwähnte Schulsprecher und spätere Nahost-Korrespondent des ZDF, Dietmar Ossenberg (Dubai Das Übermorgenland), der spätere Stern-Reporter Sebastian Knauer, der den toten Barschel in Genf fand (Barschels Tod), sowie der spätere Parfüm-Millionär (Coty) und Waldhof-Mäzen Bernd Beetz, der fälschlicherweise immer behauptet, dass er am LFG in der Neckarstadt Abitur gemacht hätte. Richtig ist, dass er als einer der Letzten 1969 am Moll Abitur gemacht hatte, und ab dem nachfolgenden Schuljahr das Haus als Ludwig-Frank-Gymnasium (LFG) fortgeführt wurde. Der bevorstehende Umzug, die Abiturienten und vieles andere wird im Jahresbericht 1968/69 thematisiert. Etwas schwierig waren die Regeln für den Verbleib an der alten Schule bzw. für den Umzug ins Niederfeld in den Neubau: wer im nächsten Schuljahr in der Klasse 11 und höher war (also Oberstufe), musste mit umziehen, denn das LFG hatte noch keine Oberstufe. Wer hingegen Russisch lernen wollte, musste als Sextaner das LFG besuchen, denn der Russisch-Unterricht am Moll lief zum Ende der 70er Jahre aus. Mädchen konnten hingegen an beide Schulen gehen, denn die volle Co-Edukation war eingeführt. Das Thema neue Schule war am Ende des Schuljahres zwar da, aber irgendwie überhaupt nicht besonders präsent. Wer interessierte sich schon für ein Richtfest? Auch, dass vieles im neuen Gebäude im Niederfeld noch gar nicht fertig war, war nicht bekannt, oder wurde ganz einfach unter dem Deckel gehalten. Unsere UIId, die zuletzt in einem Kellerraum gehaust hatte, war ganz froh, dass etwas Neues am Horizont war, allerdings war uns allen nicht klar, dass wir neben den Schülern, die wir durch Sitzenbleiben eh verloren hatten, auch noch zusätzlich auseinander gerissen werden würden. Es hat sich dann im neuen Haus als ganz schöne Herausforderung erwiesen, dass wegen Lerninhalten eine Menge sozialer Kontakte gekappt und Klassen neu zusammengewürfelt wurden. Bei mir waren das die 2 Aspekte Lernrückstand in Französisch und Trennung von meinem Langzeitfreund Karl-Heinz. Wie gesagt, war das Ende Juli noch gar nicht klar, ich weiss auch gar nicht mehr, ob der verzögerte Neuanfang im September da schon kommuniziert wurde. Bei mir kam auch das Thema Geld verdienen in den Sommerferien auf. Soviel ich weiss, wurde die damalige Anfrage beim Strebelwerk noch negativ beschieden, da ich noch keine 16 J. alt war. Wir fuhren also wie in jedem Sommer nach Greiz zur Oma, mit dem Unterschied, dass die unterwegs besuchte Tante jetzt Witwe war, die den Verlust ihres Mannes auch über die Jahre so gar nicht verkraften und fassen konnte. In jenem Sommer bekam ich von ihr das schon früher thematisierte „Detatom“-Buch als Erbe von meinem Onkel überreicht und besitze es noch heute. Da wir in der DDR waren, ging auch das Rock-Spektakel des Woodstock-Festivals im August völlig an mir vorbei; ich musste mir das dann später erarbeiten. Ende August waren wir zurück in Mannheim. Dann sollte es noch 3 Wochen dauern, bis wir vom neuen Moll-Gymnasium im Niederfeld Besitz ergreifen konnten. Bis jetzt hatte aber noch keiner von uns das Gebäude überhaupt jemals gesehen.


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